Hagen Lippe-Weißenfeld: »Die Rheinoper verdient einen Neubau«
Seit die ProjektSchmiede vor einem Jahr Bilder visionärer Opern-Neubauten im Medienhafen und am bisherigen innerstädtischen Standort vorstellte, findet eine anhaltende, lebhafte und konstruktive Diskussion in der Stadtgesellschaft statt. Bürgerinnen und Bürger, Politik und Verwaltung, Presse und Medien, Opernliebhaber und -rivalen vereint, dass ihnen nicht gleichgültig ist, ob ein Opernhaus existiert oder nicht, und wie sich ihre Stadt städtebaulich entwickelt.
Erinnert sei an die erbitterten Debatten in den 90er Jahren über den Rheinufertunnel, dessen Neubau die Stadt heute wieder an den sie prägenden Fluss heranführt. Oder an den Abriss des denkmalgeschützten »Tausendfüßlers«, der die Innenstadt über Jahrzehnte martialisch teilte. Durch seinen Wegfall fanden Kö-Bogen I (Königsallee) und Kö-Bogen II (Gustav-Gründgens-Platz) städtebaulich erst wieder zueinander. Dass der Oper als »Brücke« in Ost-West-Richtung zwischen der Altstadt und dem Schauspielhaus wie auch in Nord-Süd-Richtung zwischen Hofgarten und Königsallee eine besondere städtebauliche Bedeutung zukommt, ist unstrittig. Ein Neubau, architektonisch konzipiert als »Signature-Building«, hätte prägenden Silhouetten-Charakter. Das würde nicht nur die Düsseldorfer mit Stolz erfüllen, sondern hätte zudem erhebliche Auswirkungen auf die touristische Anziehungskraft der Stadt. Kopenhagen, Bilbao oder Hamburg sind überzeugende Beispiele für die mehrdimensionale Attraktivität qualitativ außergewöhnlicher Kulturbauten.
Aus künstlerischer Sicht erscheint ein Neubau geradezu zwingend. Nur in einem neuen »Gefäß« können sich Opern- und Ballettensemble sowie beide Orchester (Duisburger und Düsseldorfer Symphoniker) adäquat weiterentwickeln. Aus kultur- und gesellschaftspolitischer Perspektive wäre ein Neubau ebenso wünschenswert. Eröffnet er doch die Möglichkeiten, das bisher genuin der »Hochkultur« gewidmete Haus auch für andere kulturelle Zwecke zu öffnen. Ein multifunktionaler Nutzungsmix aus Gastronomie, Einzelhandel, Hotel, Dachterrasse, Tiefgarage, unterirdischem U-Bahn-Anschluss usw. würde das Haus zusätzliche Zielgruppen erschließen. Aus finanzieller Sicht böte diese Mischnutzung zudem hervorragende Refinanzierungsmöglichkeiten. Würde man die Oper alternativ an anderer Stelle neu bauen, lieferte die Nachverwertung des alten Grundstücks den finanziellen Grundstock zur Neubaufinanzierung. Der Stadtrat hat jüngst die Verwaltung beauftragt, sechs mögliche Optionen zu prüfen: Instandhaltung, Generalsanierung, Generalsanierung und Erweiterung, Abriss und Neubau an anderer Stelle, Abriss und Neubau eines reinen Opernhauses an gleicher Stelle sowie Abriss und Neubau eines Multifunktionsgebäudes an gleicher Stelle. Die Alternativen eins bis drei vereinen die Nachteile, dass weitere Kostensteigerungen nicht ausgeschlossen sind, man zudem im »alten Korsett« bliebe und damit weiterhin zu geringe Platzverhältnisse, fehlende Seitenbühnen, eingeschränkte Funktionsabläufe, schwierige Akustik und fehlenden Mehrwert hätte. Kurzum: Es braucht den Mut zur großen Lösung! Es braucht ein Gefäß, das der künstlerischen Leistung des Hauses würdig ist und sie adelt! Es braucht eine Entscheidung, die einen städtebaulichen Quantensprung ermöglicht!
Hagen W. Lippe-Weißenfeld, Jahrgang 1975, ist Unternehmer, Kulturmanager und Geschäftsführer der Meyer Architekten GmbH und ProjektSchmiede GmbH in Düsseldorf
Raimund Stecker: »Düsseldorf verdrängt seine Geschichte«
Verdrängen und abreißen, um neu zu bauen, das scheint in Düsseldorfs DNA zu wesen. Das wiedervereinigte Deutschland sucht seine Identität in der Vergessenmachung der DDR und der Restaurierung preußischer Schlossästhetik. Die Landeshauptstadt von NRW hält es eher mit den Folgen von 1942 ff: bomben oder abreißen, Decke drüber und neu bauen! Die neuste Volte: Oper weg!
Wann hört dieses adoleszente Gehabe endlich auf, wann werden die Entscheidungsträger reif? Der »Schreibtisch« der Stahlindustrie war schwer Leidtragender des Zweiten Weltkriegs. Im Schadensbericht des Arbeitsstabes für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte im Rüstungsministerium von Albert Speer heißt es über Düsseldorf nach den Luftangriffen seit 1942: »Vor dem Kriege 540.000 Einwohner, hat jetzt 310.000. Es hat etwa 220 Angriffe erlebt, davon etwa 12 Großangriffe.« Doch trotz der starken Zerstörung verfüge Düsseldorf über »die einzige Oper des Westens«. Alle anderen sind ausgebombt.
Diesem Umstand ist es auch geschuldet, dass am 2. Oktober 1946 der Landtag des Bundeslandes ohne feudal-territoriale Tradition, »Nordrhein/Westfalen«, in der Düsseldorfer Oper zur ersten Sitzung zusammenkam. Die Geschichte Nordrhein-Westfalens ist eng verbunden mit dem Opernhaus an der Heine-Allee, der sich aufgrund seiner tradierten Formensprache unzweideutig als Theater zu erkennen gibt. Doch ein fatal unterschwellig schlechtes Gewissen widerstrebt offensichtlich dem Zulassen von geschichtlich Gewachsenem. Was nicht bis 1945 zerbombt wurde, lief und läuft in Düsseldorf Gefahr, kaputtgeredet zu werden. Und das, seitdem das Mitglied der »Arbeitsstabes Speer«, Friedrich Tamms, funktionselitär einflussreicher Stadtbaurat im Nachkriegsdüsseldorf war.
Das Jonglieren mit Gebäuden scheint wie das Spielen von Kindern mit Bauklötzen und das von Arbeitsstäben in Sandkästen eine raison d‘etre der Stadt zu sein. Auch Anselm Kiefer hängt diesem im provenzalischen Barjac an. Sein dortiges Spiel mit leeren Containern brachte er 2009 auf die Bühne der Grand Opera in Paris. Der Titel: »Am Anfang«.
Nur, Düsseldorf steht nicht mehr am Anfang. Die U-Bahn ist fertig, das nördliche Ende der Kö städtebaulich und die fußläufige Anbindung an Schadowstrasse und Gründgensplatz gelungen. Lediglich der nördliche Blick in den Hofgarten ist noch leblos. Eine Akzentuierung der Opernrückseite böte hier die Chance, einen würdigen point de vue, neue Räume und vor allem Atmosphäre zu erschließen. Warum soll man nicht auch in Düsseldorf Operngästen wie in Bayreuth oder auf Cartier-Bressons berühmten Foto aus Glyndebourne ein Pausendefilee im Park gönnen?
Apropos Gründgens. Der »Staatsrat« (Helmut Lethens Buch) steht neben Tamms so für die funktionselitäre Kontinuität nach 1945 in Düsseldorf, wie Reinhard Gehlen und Hans Globke für die in der Bonner Republik. Wann endlich wird damit begonnen, diese Kontinuität transparent und offensiv als Teil unser Geschichte anzuerkennen, anstatt sie immer weiter zu verdrängen und ihre geschichtlichen Zeugnisse zu vernichten? Ohne diese Funktionselite und ihr »Braunes Netz« (Willi Winkler) hätte es kein Wirtschaftswunder in der BRD, keinen sozialistischen Wohlstand in der DDR, keine US-amerikanische oder sowjetrussische Raumfahrt und auch keine Neublüte des Deutschen Kunstbetriebs mit Hildebrandt Gurlitt, Anne Abels, Hein Stünke und Alex Vömel im Rheinland, Roman Norbert Ketterer, Wilhelm Friedrich Arntz und Wilhelm Rüdiger in Schwaben gegeben.
Raimund Stecker, Jahrgang 1957, war unter anderem Gründungsdirektor des Arp Museum Rolandseck, hat das Lehmbruck Museum in Duisburg geleitet und ist Professor für Kunstwissenschaft an der Hochschule der bildenden Künste in Essen