Boris Charmatz verlässt das Wuppertaler Tanztheater Pina Bausch. Warum hat es mit Salomon Bausch und dem Ensemble nicht gepasst? Eine Einordnung von Bettina Trouwborst.
Nach außen schien die Wuppertaler Tanztheaterwelt unter der Leitung von Intendant Boris Charmatz in Ordnung zu sein: Es gab schöne Premieren-Erfolge zu feiern (»Liberté Cathédrale«), Massen-Events im Stadtgebiet (»Wundertal«), ein harmonisches Ensemble aus Alt und Jung. »Liberté Cathédrale« wurde 2024 für den Theaterpreis »Der Faust« nominiert und mit zwei anderen Inszenierungen zur Produktion des Jahres bei der Kritikerumfrage von »tanz« gewählt. Dazu ernannte man Charmatz zum »artiste complice« beim weltbekannten Festival d’Avignon. Doch dann gaben der Tanztheater-Intendant Boris Charmatz und der Aufsichtsrat der Tanztheater GmbH sowie die Stadt Wuppertal überraschend bekannt, dass sie ihr »Vertragsverhältnis einvernehmlich mit dem Ende der laufenden Spielzeit beenden. Die Parteien hätten Verschwiegenheit über die Gründe der Vertragsauflösung vereinbart.
Große Irritation.
Man trenne sich in Wohlwollen – so scheint es jedenfalls. Charmatz, seit 2022 im Amt, kommentiert offiziell: »Ich habe es geliebt, in Wuppertal mit und für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt zu arbeiten. Ebenso habe ich es geliebt, zusammen mit den Tänzer*innen und dem Team des Tanztheaters Wuppertal das Werk von Pina Bausch in vielfältiger Weise und großem Respekt zu erschließen.« Und der Vorsitzende des Aufsichtsrates, der Kulturdezernent, der Oberbürgermeister, die NRW-Kulturministerin – alle zollen ihm Dankbarkeit und Respekt. Und: »Die Stadt hätte gerne weiter mit Boris Charmatz zusammengearbeitet und ist für zukünftige Kooperation offen und bereit.« Warum trennt man sich dann?
Eine zentrale Person im Bausch-Kosmos wird in der Pressemitteilung nicht genannt: Salomon Bausch, Gründer und Vorstand der Pina Bausch Foundation, äußert sich nicht. Er ist derjenige, der Lizenzen vergibt, Aufführungsrechte genehmigt. Dass der sensible Sohn und Erbverwalter geschluckt haben muss, als Charmatz schon bei seiner Amtseinführung 2022 erklärte, er wolle Pinas Werke nackt und ohne Ausstattung zeigen, kann man sich vorstellen. Es war von Anfang an klar, welche Vorstellungen der radikale Franzose vom Umgang mit dem Erbe hatte. Es drängt sich die Frage auf, warum Charmatz, bekannt für seine schonungslosen Performancen, unter dieser Voraussetzung überhaupt für diesen Job auserkoren wurde.
Beim Festival d’Avignon war »Forever – Immersion in Pina Bausch’s Café Müller« sieben Stunden lang zu sehen – getanzt von fünf Besetzungen. Diese Version sollte nun auch in Berlin gezeigt werden. Aber wie aus gut unterrichteten Kreisen zu erfahren ist, wollte Bausch dazu nun nicht mehr seine Autorisierung geben.
Salomon Bausch lässt eine Anfrage dazu und seiner Haltung zu Charmatz unbeantwortet.
Schwierigkeiten gibt es offenbar auch mit dem Ensemble. Charmatz sei selten in Wuppertal vor Ort gewesen, er habe sich mit anderen Projekten wie seinem französischen Kollektiv »terrain« befasst. Insbesondere die älteren Tänzer*innen hätten große Probleme mit Charmatz gehabt. Kündigungen jüngerer Tänzer*innen hätten im Raum gestanden. Die Stimmung war offenbar schlecht. So sei die Nachricht von einer Trennung wenig überraschend gekommen.
Was wird nun aus der legendären Truppe? Erneut steht die Company ohne künstlerische Leitung da. Daniel Siekhaus, stellvertretender Intendant, wird den Betrieb ab August aufrechterhalten. Eine neue Intendanz wird auf sich warten lassen. Denn sie soll gleichzeitig die Führung des künftigen Pina Bausch Zentrums übernehmen. Nach dem aktuellen Planungsstand steht die Entscheidung hierüber, so heißt es, spätestens im Jahr 2026 an.
Es wird nicht leicht sein, für dieses komplexe Konstrukt und das schwierige Drei-Generationen-Ensemble die richtige Besetzung zu finden. Überhaupt scheint es nicht sinnvoll, beide Aufgaben – Leitung von Tanztheater und Zentrum – in eine Hand zu geben. Eine Herkules-Aufgabe, die abschrecken könnte. Der Trend in der Tanzszene geht gerade in die andere Richtung: Choreografierende Ballettdirektor*innen werden zur Seltenheit. Stichwort: Work-Life-Balance. Möglichen Bewerber*innen macht es zudem ein kompliziertes Wahlverfahren schwer, das das komplette Tanztheater-Ensemble samt Team einbindet. Hier ließe sich ansetzen. Es geht um viel.