TEXT: ANDREAS WILINK
Es geht alles ganz schnell. Im Schatten des Atompilzes von Hiroshima 1945 folgt die Geburt zweier Mädchen im selben Jahr in London; ihr Aufwachsen Hand in Hand; die Trennung des einen Elternpaars, nachdem die Kamera kurz das blaue Auge der Frau streift, worauf man den Mann mit einem Koffer über den Hof weggehen sieht. Schon zeigt das Datum 1962 – Ginger und Rosa sind Teenager und noch immer beste Freundinnen. Wenn Rosa mit einem Jungen knutscht, gilt ihr Blick Ginger, die die Szene etwas befremdet beobachtet. Während Rosa (Alice Englert) daran leidet, dass ihre Familie zerbrochen ist, hat Ginger (Elle Fanning) einen Vater, den sie Roland nennt, weil für ihn »Dad« nach Pantoffeln vor dem Sessel klingen würde. Das ist sein Problem und das seiner Ehe mit Nat.
Bloß keine bürgerlichen Konventionen! Der akademische Bohemien ist Pazifist, der den Kriegsdienst verweigerte, er schreibt Artikel, schluchzt bei Schuberts Klaviermusik, lehrt als Dozent, will unabhängig und frei sein, auch, um blonde Studentinnen zum Sex und schließlich eine Liaison mit Rosa zu haben, die von ihm schwanger wird.
Sally Potter erzählt – von Jazz als dem Sound der Zeit durchströmt – vom Erwachsenwerden als Gefühlsgeschichte und sentimental journey, in der politische Erweckung, idealistisches Engagement, familiäre Katastrophen und psychische Krisen, Glaubensfragen und emanzipatorische Impulse einander bedingen. Ginger lebt im Bann der Bombe vor der Drohkulisse des Kalten Kriegs zwischen den USA und der Sowjetunion, der in Kuba eskaliert.
Godards Credo, keine politischen Filme zu machen, sondern Filme politisch, könnte das der Regisseurin Potter sein, die die Welt ebenso poetisch betrachtet wie ihre Heldin Ginger, die eigentlich »Africa« heißt, weil Frauen wie ein schwarzer Kontinent seien. So sagt Roland, indem er Freud zitiert. Ein Vater, der selbst die Namensgebung der Tochter als demonstrative Botschaft benutzt – das kann nicht gut gehen. Für Ginger, die eifersüchtig auf Rosas Beziehung zu Roland reagiert und labil zwischen Angstneurose und Lebensfreude, Selbstwerdung und Fremdbestimmung schwankt, spiegelt sich der globale Konflikt in der familiären Brutzelle, die wärmend umgeben ist von ihren zwei schwulen Paten und der rebellischen amerikanischen Aktivistin Belle. Ein bisschen viel, womit Potter uns konfrontiert, aber dann doch wiederum nur dazu da, um Ginger bei sich ankommen zu lassen.
»Ginger & Rosa«; Regie: Sally Potter; Darsteller: Elle Fanning, Alice Englert, Christina Hendricks, Timothy Spall, Alessandro Nivola, Annette Bening; GB 2012; Start 11. April 2013.