»Nosferatu – der Untote«, wiederauferweckt von Robert Eggers: ein energiegeladenes Fantasy-Spektakel.
Ein Gespenst geht um in Europa. Nein, es ist nicht, wie Karl Marx zu Anfang seines die Welt verändernden Manifests schreibt, der Kommunismus. Es ist vielmehr der Vampirismus. Bram Stoker hat den Untoten, genannt Graf Dracula, als der längst durch das Volkstum und seine Sagen spukte, 1897 nicht erfunden, aber populär gemacht. Das junge Kino tat es ihm bald nach, Carl Theodor Dreyer 1932 und bereits zehn Jahre früher schon der große Friedrich Wilhelm Murnau mit »Nosferatu. Eine Symphonie des Grauens«. Gut 50 Jahre später wird Werner Herzog sein Remake drehen – mit einem leichenblassen Klaus Kinski als »Phantom der Nacht«.
»Ein frostiger Luftzug aus dem Jenseits weht uns an«, schrieb der Filmhistoriker Bela Balasz angesichts von Murnaus schwarzromantischer Titelfigur, wahnwitzig grandios gespielt von – nomen est omen – Max Schreck. Der Regie-Kollege Eric Rohmer spürte eine »erstickende Traurigkeit« in Murnaus Film.
Dieses Jenseits ist Transsylvanien, gelegen in den rumänischen Karpaten. Dorthin reist ein frisch vermählter junger Mann und Immobilienmakler (bei Murnau heißt er Hutter, bei Herzog heißt er Jonathan Harker und wird verkörpert von Bruno Ganz), um dem sinistren Grafen Orlok ein Haus zu offerieren. Es steht in Wismar. Der Kauf findet statt. Bald macht sich das Ungeheuer per Schiff dorthin auf – und hat die Pest an Bord. Denn der Vampir ist auch Herr der Ratten als Überträger des Erregers. Sein eigentliches Ziel gilt aber Hutters Ehefrau, zu der es ihn unheimlich zieht, als seien telepathische Kräfte am Werk. Das Begehren als triebhafte Elementargewalt erscheint so nur kostümiert im Gewand des Horrors; und die Kamera wird zum »Agenten des Triebbereichs« (Klaus Kreimeier).
Die mythische Erzählung will, dass eine Frau mit Unschuld im Herzen möglich macht, die Welt von dem Ungeheuer zu befreien, indem sie es bei sich hält, bis der Hahnenschrei den Tag ankündigt und der erste Sonnenstrahl das Wesen tödlich trifft, das nur die Nacht erträgt und bei Licht im Sarg ruhen muss. Eine Erlösungs-Fantasie.
Bei Murnau, und Herzog folgt ihm darin, ist Nosferatu zwar ein bizarres Monstrum, aber auch ein zutiefst Leidender und Einsamer, eine verlorene Seele, der Außenseiter schlechthin. Während bei Murnau die junge Frau dabei selbst den Tod erleidet und während bei Herzog der Blut-Bann nicht gebrochen ist und Jonathan fortan – vom Biss selbst verwandelt – als Vampir und böser Geist die Erde verunsichert und die Apokalypse evoziert, wählt Robert Eggers einen anderen Schluss.
Der neue »Nosferatu«, ein Jahrhundert und viele Katastrophen später, stellt ebenfalls markant die dämonische Kraft der Sexualität ins Zentrum. Ellen (Lily-Rose Depp, die in ihrer Bleichsucht durchaus Ähnlichkeit hat mit Isabelle Adjani bei Herzog) ist die Frau von Thomas Hutter (Nicholas Hoult) und lebt mit ihm in der (fiktiven) deutschen Hafenstadt Wilsborg. Sie ist bereits eine Besessene, arge Träumerin und Außenseiterin einer geordnet braven Welt und damit gewissermaßen blutsverwandt dem Gespenst. Nicht zu Unrecht wird auf Sigmund Freuds Studien zur Hysterie verwiesen, in denen das Ungelebte und Uneingestandene sich auf andere Weise Bahn bricht und ‚bearbeitet’ wird von dem Vampir-Spezialisten Prof. Albin Eberhart von Franz (ein grimassierender Willem Dafoe). Ellen spürt ein Sehnen und Verlangen, das sich richtet auf das Lustsubjekt Nosferatu (jugendlich besetzt mit Bill Skarsgård), der reagiert: Charisma, ins Grauen gewendet.
Wo Murnau und Herzog eine erzromantische Schauergeschichte aus dem Geist von Poe und Wagner erzählen, werden bei Eggers Ströme von Energie freigesetzt. Zwar nutzt er auch altgediente künstlerische Mittel wie gemalte Hintergründe, aber besonders über wirkmächtige Sound-Effekte dringt es mit aller Gewalt auf uns hinein. Wenn man Roman Polanski zum Vergleich heranziehen möchte, dann würde eher die finster glitzernde Teufelei von »Rosemarys Baby« passen als der komödiantische »Tanz der Vampire«. Bei redlichem Bemühen um psychologische Ausdeutung erscheint dieser »Nosferatu«, anders als seine Vorgänger, die den Realismus des 19. Jahrhunderts aufnahmen und für das 20. verwandelten, wie ein Fantasy-Spektakel für Serien-Junkies der Netflix-Generation.
»Nosferatu – der Untote«, Regie: Robert Eggers, USA 2024, 130 Min., Start: 2. Januar