Es ist ein Ritual. Und eine Fiktion. Das Einschalten der Tagesschau und unser Glaube, in 15 Minuten die Welt erklärt zu bekommen und Teil der globalen Info-Gesellschaft zu sein. Dabei wissen wir, dass nicht einmal auf die Prognose der Wetterkarte Verlass ist. Wenn also Helgard Haug & Daniel Wetzel ihr Doku-Theater »Breaking News« als »Tagesschauspiel« ankündigen, signalisieren sie damit, dass es sich um inszenierte Wirklichkeit und manipulierte Wahrnehmung handelt: bei den Nachrichtensendungen selbst und bei ihrer, der Gruppe »Rimini Protokoll« eigenen Beschäftigung mit dem TV-Format. Das ist das fast einzig Originelle der zweistündigen Aufführung, die nach ihrer Berliner Uraufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere hatte (weitere Partner der Koproduktion sind Frankfurt, Hannover und Wien): Sie simuliert auf simultaner Ebene den Charakter der News. Man sieht blinde Bilder, hört Floskeln, erlebt die Konstruktion von Kompetenz.
Das ist nichts Neues, der Erkenntniswert bescheiden, der Unterhaltungswert beschränkt (auch darin gleicht »Breaking News« seinem betrachteten Gegenstand), aber trotz holperiger und konfuser Abläufe leidlich nett anzusehen. Solange nicht jemand wie der Medienkritiker Walter von Rossum – als einer der neun gecasteten »Experten« auf der Bühne – von seiner hintergründigen Gescheitheit schier überwältigt den Besserwisser herauskehrt. Die ARD-Sendung um 20 Uhr meiert er ab als »irren Schrebergarten der Realität« und antwortet auf öffentlich-rechtliche Infiltrierung mit eigener parteiischer und polemischer Gegenrede. Sympathischer und reeller ist da schon der kurdisch-syrische Djengizkhan Hasso, der weiß, was Meinungsdiktatur bedeutet.
Zur Prime Time erfolgt eine weltumspannende Satellitenschaltung – Aufwand und Ertrag des Abends stehen in keinem Verhältnis bzw. in dem Verhältnis, wie »Breaking News« zu den tatsächlichen Sendungen in ihrem Suggerieren von Bedeutung und Live-Aktualität. Datenmengen werden gefiltert und arabische, pakistanische, russische, südamerikanische, isländische und deutsche Nachrichten abgerufen, übersetzt, kommentiert, analysiert und auf 20 Monitoren eingespielt. Putin auf Staatsbesuch, »Märtyrer« in Palästina, Tote in Pakistan, Geiseln in Kolumbien, Grüne Woche in Berlin etc. Über den Niederungen der Tagespolitik thront der ehemalige Afrika-Korrespondent Hans Hübner und liest aus Aischylos’ »Die Perser« vor, der einzigen antiken Tragödie, die ein zeitgenössisches Geschehnis behandelt. »Schlimme Nachrichten bringt er zu Gehör«, heißt es da. Mit einer netten News hingegen endet regelmäßig Islands Tagesschau. Wir sollten keine der Botschaften besonders ernst nehmen. Die Macher von »Rimini Protokoll« müssen aufpassen, dass ihre Methode nicht zur Masche wird.