Ein Mann steht alleine vor einem Mikrofon und schüttet sein Herz aus. Fünf Jahre lang hat er als Autor, Regisseur und Performer im Theater gearbeitet. Fünf Jahre, in denen er zu allen Übeln der Welt geforscht hat. Fünf Jahre, in denen er den Aufstieg derer erlebte, die er »Faschisten« nennt. Fünf Jahre, in denen die meisten von uns nahezu teilnahmslos zugesehen haben, wie die Welt dem Untergang entgegen rennt. Arne Vogelgesangs mit dem Kollektiv internil produzierte Theaterabende sind eine Chronik unserer Zeit. Doch nun ist Schluss. In »Es ist zu spät« spielt er sich selbst, wie er ein YouTube-Video produziert, in dem er darüber nachdenkt, dass das Theater enden muss.
Dieser Abschied vom Theater ist in den vergangenen drei Monaten realer geworden, als wir uns das jemals vorgestellt hätten. Genau in der Woche, in der Festivalleiter Haiko Pfost das Programm des diesjährigen Impulse Theater Festivals vorgestellt hat, wurde der Shutdown verkündet. Im Telefoninterview beschreibt er die Situation Mitte März so: »Wir hatten alle Raketen gekauft.« Doch das Feuerwerk, das vom 4. bis 14. Juni in Köln, Düsseldorf und Mülheim an der Ruhr stattfinden sollte, fällt nun aus.
Daran ändert auch die Entscheidung des Landes NRW nichts, dass die Theater ab 30. Mai unter Auflagen wieder öffnen dürfen. Zum einen kommen zahlreiche der zum »Showcase« eingeladenen Künstler nicht aus Deutschland und können wahrscheinlich nicht einreisen. Zum anderen gibt es in Köln, wo die zehn eingeladenen Produktionen gezeigt werden sollten, städtische Erlasse, die Gastspielen im Depot und in der Studiobühne entgegenstehen. Es bleibt also ausgerechnet im Jahr ihres 30. Jubiläums bei einer Online-Version der Impulse.
»Wir haben uns entschieden, dass wir keine reinen Streams von Aufführungen wollen«, erzählt Haiko Pfost. »Grundsätzlich halten wir es für schwierig, Aufführungen einfach abzufilmen und ins Netz zu stellen.« Außerdem gilt für die meisten Produktionen, dass »die Anwesenheit des Körpers Voraussetzung für das Funktionieren einer Arbeit ist.« Mit diesen Beobachtungen legt er den Finger in die Wunde eines Theaters, das sich in Streams und Videoarbeiten selbst verliert. Dennoch werden im Lauf des Festival drei der »Showcase«-Produktionen im Netz gezeigt, allerdings in eigens für das Festival erarbeiteten Versionen.
Arne Vogelgesang wird seinen Abgesang auf das Theater als YouTube-Live-Stream präsentieren. Form und Inhalt kommen so zu einer Deckung, die natürlich einen Verlust markiert. Zugleich lässt einen dieser Transfer aber auch anders über das Theater als Ort und Form nachdenken. So gewinnt »Es ist zu spät« in dieser Fassung auch etwas. Und bei Oliver Zahns live über Zoom gestreamter Desktop-Performance »Lob des Vergessens, Teil 2« wird es ähnlich sein. Natürlich ersetzt ein Blick auf die Bildschirmoberfläche, während Zahn zur Geschichte der Heimatvertriebenen forscht, nicht die Theater-Performance. Aber sie offenbart etwas, das auf der Bühne in den Hintergrund gerät. Aufgrund der Digitalisierung wird Archivarbeit nie mehr das sein, was sie einmal war. Zudem wird während des Festivals noch eine abgefilmte Version von Magda Korsinskys Dokumentarprojekt »Stricken, die Installation« gezeigt.
Impulse Theater Festival, 4. bis 14. Juni 2020