TEXT: MARTIN KUHNA
Es geht um nicht weniger als die Christianisierung Europas. Hatten sich die Paderborner bei ihren vorangegangenen großen Mittelalter-Ausstellungen – »Kunst und Kultur der Karolingerzeit« (1999) und »Canossa, Erschütterung der Welt« (2006) – noch auf überschaubare Zeiträume beschränkt, gilt der Blick nun nach weiteren sieben (!) Jahren einer Entwicklung, die sich über mehr als 1000 Jahre hinzog: ein enormer Vorgang und ein »Riesenthema«, gibt Christoph Stiegemann vom Paderborner Diözesanmuseum zu. Gleichwohl seien Kollegen in ganz Europa begeistert gewesen von der Idee. Die »entscheidende Frage« sei, da waren sie sich schnell einig, wie man dieses Thema durch Beschränkung auf Wesentliches strukturieren kann.
Um den vorbildlich reduzierten Titel der Ausstellung habe es einige Diskussionen gegeben, berichtet Stiegemann. Manchen erschien das zu wenig differenziert und vor allem zu wenig distanziert – als spräche daraus ein Bekenntnis der Ausstellungsmacher selbst, das der Besucher am Ende gar wie einen Imperativ lesen könnte: »Crede!« Doch schließlich sprach nicht nur die plakative Kürze für den Titel: Das individuelle Bekenntnis, so Stiegemann, habe schließlich eine große Rolle gespielt in der Verbreitung des Christentums. Die Möglichkeit, dass Besucher sich vor Missionierung fürchten könnten, drehten die Museumsleute in ihrer Heimatstadt dann frech ironisierend noch ein bisschen weiter: In Paderborn hängen Fahnen mit der überaus vieldeutigen Ankündigung: »Ab Juli müssen Sie dran glauben!«
LUX MUNDI
Das europäische Thema Christianisierung ausgerechnet mit Paderborn zu verbinden, ist keine Schwierigkeit: Immerhin war die an einem Verkehrsknoten gelegene Stadt ein Stützpunkt des besonders eifrig christianisierenden großen Karl, und das 799 gegründete Bistum spielte eine wichtige Rolle in der Missionierung Europas. Ebenso zwanglos lässt sich das Ausstellungsjahr 2013 mit jenem Datum verbinden, das als Ausgangspunkt des weitgefassten Überblicks dient: Die 313 geschlossene »Mailänder Vereinbarung« der west- und oströmischen Kaiser Konstantin und Licinius gewährte Glaubensfreiheit und nahm den überlieferten römischen Göttern ihre Privilegien. Die damit einsetzende »konstantinische Wende« mündete nur 73 Jahre später in die Erhebung des Christentums zur römischen Staatsreligion. Weiß Gott erstaunlich für eine Religionsgemeinschaft, die als obskure jüdische Sekte in einem fernen Winkel des Imperiums ihren Anfang genommen hatte.
Wie die beiden Vorgänger-Ausstellungen verteilt CREDO sich auf drei Ausstellungsorte: Diözesanmuseum, Museum Kaiserpfalz und Städtische Galerie am Abdinghof. Das Diözesanmusem zeigt die weitere Ausbreitung des Christentums in der Antike und im Mittelalter von den Anfängen in Rom bis zur Missionierung Skandinaviens. Die Überschrift, es bleibt bei der Kirchensprache: »Lux mundi«. Der Beginn wird symbolisiert durch einen Kontrast: Dem elaborierten Kult um die römischen Götter steht gegenüber das Papyrus-Fragment eines Paulusbriefes – Symbol für den besonderen Charakter dieser intellektuell-schriftlich daherkommenden neuen Religion. Es wird nachgezeichnet, wie sich das Christentum zunächst in einer Art »Diffusionsprozess« über die politischen und ökonomischen Verbindungen im römischen Reich ausbreitete, ehe Papst Gregor d. Gr. die Mission »bis an die Grenzen der bekannten Welt« energisch vorantrieb und prominente Emissäre wie Patrick und Bonifatius ihre fromme Botschaft in Richtung England und Irland – und wieder zurück auf den Kontinent trugen.
IN HOC SIGNO
Auf welche religiösen Vorstellungen trafen die Missionare in den verschiedenen Regionen? Wie verständigten sie sich? Welche Strategien verfolgten sie bei ihrer Werbung? Solche Fragen sieht Christoph Stiegemann im Zentrum der Ausstellung; dazu den Blick auf besondere Qualitäten, welche die christliche Botschaft auszeichneten: der Appell an das persönliche Bekenntnis, die Verbindung mit schriftlicher Überlieferung antiker Kultur, die Überwindung des potenziell bedrückenden Opfer-Themas durch Jesu stellvertretenden Tod – schließlich die erstaunliche Fähigkeit dieser Religion, sich sehr pragmatisch traditionelle, »heidnische« Riten anzuverwandeln und einzuverleiben, während zugleich mit größtem Ernst um theologische Kernfragen gerungen wurde.
Das Museum in der Kaiserpfalz führt dann weiter bis an die Schwelle zur Neuzeit, und setzt dabei mit Karl d. Gr. noch einmal neu an: »In hoc signo« verschiebt den Focus von der Botschaft und ihren Missionaren hin zur Verquickung von Christianisierung mit Krieg, politischer Expansion und Machterhalt, hin zur Zwangsbekehrung mit Gewalt, wie sie zwar bei Papst Gregor als Ultima ratio schon angelegt, aber seltener praktiziert war. Die Mission sei dabei insgesamt umso blutiger geworden, sagt Stiegemann, je weiter sie von Rom her in Richtung Osten vordrang, was nicht zuletzt mit wachsenden Verständigungsschwierigkeiten auf dem Weg nach Osten zu tun gehabt habe. Den Schluss und Höhepunkt dieser Tendenz markiert die Kolonisation des Baltikums; dass es auch im Osten ganz anders ging, zeigt die Ausstellung mit einem Blick auf die Missionierung der Slawen von Byzanz her, mit den sanften Missionaren Kyrill und Method.
QUO VADIS
Die Ausstellung ist zurückhaltend in der Inszenierung und setzt auf hochwertige Exponate; insgesamt sind es etwa 600. Neben Schriftstücken und Kultgegenständen aus berühmten Museen und Archiven spielen archäologische Funde eine besonders große Rolle. Und zwar geht es dabei vornehmlich um spektakuläre Funde der jüngsten Zeit, die der längst nicht auserzählten Geschichte der Christianisierung tatsächlich neue Facetten hinzufügen, weil sie etwa die Koexistenz christlicher und heidnischer Rituale dokumentieren oder, wie in Lund, die gängige These widerlegen, dass der Bischofssitz neben einem zerstörten heidnischen Tempel errichtet worden sei: In Wahrheit ist der Tempel einfach aus der Mode gekommen und verfallen.
Zu den eindrucksvollsten Ausgrabungen zählt das vor kurzem bei Southend gefundene Grab eines angelsächsischen Fürsten – vermutlich des früh konvertierten Königs Saebert. Das Grab war mit reichem Schmuck ausgestattet; sogar auf den Augen des Toten lagen zwei kleine Goldkreuze. Das erinnert ein wenig an verblichene oder ohnmächtige Comic-Figuren; bei den Briten hat es dem Toten einen zweifelhaften neuen Beinamen eingehandelt: »King of Bling«.
»Quo vadis« – unter diesem Titel zeigt der dritte Ausstellungsteil im Abdinghof, wie die Christianisierung später mythisiert und instrumen-talisiert wurde, positiv wie negativ. Eine Abschlussinszenierung mit der Übersetzung des Wortes »Credo« in mehrere Sprachen entlässt den Besucher in eine verwirrende Gegenwart, in der die vergangene Christianisierung einer gegenwärtigen »Islamisierung« entgegengestellt wird, mit reflex- und formelhaften Beschwörungen unseres »christlich-abendländischen« Erbes – welches aber einschließt, dass das bedeutungsschwere Wort »Credo« als Markenname ausgerechnet eines Deos (!) herhalten muss. Non olet.
CREDO – Christianisierung Europas im Mittelalter, 26. Juli bis 3. November 2013. Tel.: 05251/88-2002. www.credo-ausstellung.de