Das Theater Bielefeld will es wissen. Es macht die Nagelprobe – und streut deshalb wohl gleich einige der spitzigen Dinger auf der Bühne aus: Was hat es auf sich mit der Wiederkehr der Werte, der Besinnung auf Tugenden, wo doch der Glauben mal wieder nach Blut riecht, der Anstand in den Chefetagen der Konzerne keine Stimme hat oder dem Fleiß die Basis fehlt, weil es eh keine Arbeit gibt, um ihn unter Beweis zu stellen. Ein dreiteiliges Uraufführungs-Projekt mit jeweils drei Stücken beschäftigt sich zum Auftakt mit »Treue, Würde, Verantwortung«. Sperrige Begriffe, was man bereits daran erkennt, dass sie, als Schriftzug fixiert auf Kästen, auf die Spielfläche des TAM (Theater am Alten Markt) gehievt werden. Überhaupt gibt es viel Gewese um den Dreiklang, den die Schauspieler gebetsmühlenartig repetieren. Weil die Texte von Anja Hilling, Falk Richter und Ulrich Zieger (nicht nur vom Umfang her) dünn sind, entwickelt das Ensemble unter Regie von Dariusch Yazdkhasti Zwischenspiele, deren improvisatorische und intellektuelle Qualität freilich dem Gegenstand kaum gewachsen ist. Verhüllt in Tschadors, lüften die Vier ideologischen Muff, debattieren Theorie und Therapie, rufen Kultur-Repräsentanten auf, räsonieren über Menschenrechte und hudeln sich durch die globale Unübersichtlichkeit. Dabei geben sie es mal ein paar Nummern zu groß, wenn eine Selbstmordattentäterin auf Krücken hereinstakst, oder zu kabarettistisch klein und laut, wenn die Gruppe aufgekratzt zur »Wertegymnastik« animiert. Gemütlichkeits-Reliquien und sakraler Nippes bieten der Überlegung Platz, welche Religion die kommodeste sein könnte.
Während Hilling die private »Treue« im Monolog einer jungen Frau erprobt, die im Hautkontakt mit einem fremden Mann dem abwesenden Freund Bericht erstattet, was zu manch schiefen Bildern und Metaphern führt, hat Falk Richter den kollektiven Schrecken im Medusenblick. Sarkastisch konzentriert er in »Deutlich weniger Tote« den Widersinn von moralischer Entsorgung, Sicherheitsdenken, Katastrophen-Kontrolle und verordnetem Feel good auf eine Verhörsituation vor dem Hintergrund von Gewalt, Mord und Totschlag. Hauptsache, es ist Ruhe im Land – und im kommunalen Mikrokosmos, wo ein überschnappender parteiloser »Bürgermeister« sich in einen lächerlichen Systemkollaps schwadroniert. Die Suada könnte wie Thomas Bernhard klingen, stammt aber nur von Ulrich Zieger. Der Kombilohn des Stück-Dreisatzes ist gering, die Bindemittel halten nicht. »Mensch bleiben«, sagte einst Tegtmeier. Mehr an Erkenntnis lässt sich aus dem Abend auch nicht ziehen. AWI