Der Mensch ist ein defizitäres Wesen – aber die Kunst zeigt gelegentlich, wie aus Mangel Reichtum entstehen kann. DIN A 13, ein sogenanntes mixed-abled Tanzensemble aus behinderten wie nicht-behinderten Tänzern, ist ein Beispiel dafür. 1995 von der Kölner Choreografin Gerda König gegründet, hat sich DIN A 13 immer wieder an Klischees und Vorurteilen gerieben. So auch in ihrer jüngsten Produktion »sex I.D.«. Hier ist nichts wie es zunächst scheint. Männer- und Frauenrollen kollidieren mal schmerz-, mal scherzhaft. König diagnostiziert sexuelle Desorientierung und greift ironisch auf die Gender-Debatte zurück, die vor einem Vierteljahrhundert das biologische Fundament der Geschlechterrollen einzureißen versuchte. Seither muss jeder selbst seinen Sexus bestimmen, wie »sex I.D.« großartig zeigt. In einer Szene liefern sich zwei Domina-Gestalten, denen jeweils ein Lackstiefel wie eine erotische Prothese ans Bein geschnallt ist, ein Billard-Duell. Nur schubsen ihre Queues nicht Kugeln, sondern Körper. Die Tänzer arrangieren sich zu komplizierten Porno-Posen, greifen sich an Schritt und Brüste – eine lustvolle Subordination in einem absurden Spiel. Gerda König hat gerade mit ihren beiden behinderten Darstellerinnen interessante Typen mit starker Bühnenpräsenz gefunden – schöne Prinzessin die eine, androgyne Spötterin die andere. Provozierend drastisch ist so manche Szene, mutig auch und zum Glück ohne oberflächliche Sex-Effekte. Irgendwann wird einer der beiden Dominas der Lackstiefel weggenommen und sie hinkt und stolpert, als hätte man ihr ein Bein amputiert. So erzählt ausgerechnet eine nicht-behinderte Tänzerin eindrucksvoll vom Verlust körperlicher Souveränität. Ein kluger und wie so oft bei König auch spöttischer Kunstgriff. Die leibliche Perfektion, dieses Ideal einer schönheitssüchtigen Gesellschaft – wer besitzt sie schon? STRECKER
Bin ich schön?
01. Okt. 2007