Die Veranstaltung war wie ein einziger Schnappschuss, die etwas verwackelte Aufnahme eines »Events«. Ortstermin für die Presse, die örtliche, die seriöse des Feuilletons, die Kollegen vom Boulevard, die Aufnahmeteams von ZDF bis Sat1 und RTL. Samstagnachmittags auf freiem Feld, auf der Museumsinsel Hombroich, wo die Balance zwischen Natur und Kultur, Mensch und Kunstwerk, Ruhe und Bewegung, Sinn und Form sehr ausgeglichen wirkt. Normalerweise. Aber normal ist der allerverkehrteste Begriff für das folgende Geschehnis: Warten auf Karl. Eine Lagerfeld-Ausstellung mit neuen Fotografien. Zumindest an diesem Tag aber eher eine Vorstellung der Fotografen und des Fotografierten. Vom Moment des Erscheinens von KL hängt an sich eine Traube knipsender, Mikrofone wie Handstaubsauger haltender und reckender, Schreibutensilien in Anschlag bringender Menschen – es dürften circa 80 sein – an die durch sich selbst ikonografisch formulierte Figur, die sich in der Tradition eines Walther Rathenau und Harry Graf Kessler aus der Frühzeit des 20. Jahrhunderts sieht, als die Dandys beinahe schon ausgestorben waren.
»Meine deutschen Wurzeln entsprechen nicht einer deutschen Realität.«
Der 1933 in Hamburg geborene Fabrikantensohn KL, einer der erfolgreichsten Modedesigner der Gegenwart, kam 20-jährig nach Paris. Nach Gewinn eines Wettbewerb begann seine Karriere bei Balmain und Patou; er hat für Valentino, Krizia, Chloé und Fendi entworfen, die Marke Chanel neu gesetzt, sein eigenes Label gegründet und vor einigen Jahren Teile des Konzerns an Tommy Hilfiger verkauft.
»Ich interessiere mich für drei Dinge: Mode, Fotografie, Bücher.«
Man in Black, halb Smoking, halb Straßenanzug, hoher weißer Stehkragen mit schwarz gebundener Fliege, dunkle Sonnenbrille, das Grauhaar hinten gebunden, helmartig und gepudert sich an den Kopf schmiegend. Von weitem sieht die Frisur des 74-Jährigen, die ihn noch mehr als eine Gestalt des 18. Jahrhunderts ausweist, wie die Perücke von Norman Bates aus, die er sich in Hitchcocks »Psycho« aufstülpt, um seiner Mutter zu gleichen.
Von weitem ist die beste Perspektive, um KL nahe zu kommen. Und wann gibt es sonst schon Gelegenheit, auf ihn herabzuschauen. Die Architektur von Tadao Andos in Rasenflächen und Hügel gelagerten betonierten Museumsbaues mit seinen bunkerartigen Gängen, pyramidalen Rampen und imperialen Treppen macht es möglich. KL schreitet, wie für ein Défilée, äußerst gemessen und tastend die Schräge herab, bedrängt von der Meute, umstellt von einigen Vertrauten in gleichfalls dunkelmännischer Kleidung.
»Keiner kann auf den Zufall vorbereitet sein.«
Ziel der profanen Prozession ist ein Saal, der offenbar durch Mitwirkung des Meisters gestaltet wurde wie das Setdesign eines Stanley-Kubrick-Films: Eyes Wide Shut für eine futuristische Lounge-Landschaft mit weiß-schwarzen Stehtischen, Hockern, Sofas. An den grauen Wänden hier und drum herum hängen, teils übereinander, die Fotografien Lagerfelds, die unter dem Titel »konkret abstrakt gesehen« Autonomie behaupten. Nicht zuletzt dank eines Ausspruchs von Voltaire, das ihr Erschaffer seinen »Lichtbildern« in dem Ausstellungskatalog als Motto beigesellt: »Alles, was der Erklärung bedarf, ist die Erklärung nicht wert.« KL vergleicht dann freilich doch die organisch flächigen und schrundigen oder musterhaft klar strukturierten Arbeiten, die Körper ebenso ausschnitthaft fragmentarisieren, auflösen und isolieren wie räumliche Gegenstände und Natur-Stillleben, mit Texten: Dort »würde man von ›Zitaten‹ sprechen. Hier sind es grafische Effekte ›horse contexte‹«
»Ich stelle mir bestimmte Fragen nie.«
Die Situation der Präsentation wird immer unwirklicher, Antonioni-artiger. Die Mitarbeiter des Museums stehen dem Bildersturm macht- und hilflos gegenüber. KL platziert sich an einem der Hocker, der Schwarm der Professionellen formiert sich zum Lauschangriff, aber nur der erste Kreis der Society-begierigen Hölle hängt sozusagen an seinen Lippen. Und kann einige der gewohnt schnell und leise vorgetragenen, höchst kontrollierten Aussagen dieses Minos der Moderne, dessen Finger aus schwarz ledernen genieteten Halbhandschuhen hervorschauen, einfangen, aufspießen, ablegen.
»Mein Leben besteht zu 100 Prozent aus dem, was ich will.«
Man muss während des teils hysterisierten, teils lähmenden Showlaufs in der Langen Foundation an den von KL für sein Buch »Les mots« bewunderten Sartre denken und dessen Genet-Biografie mit dem Titel »Komödiant und Märtyrer«. KL ist als Fotograf – vermutlich auch als Modemacher – ein Artifex doctus und Magister ludi. Er, der sich angeblich jeden Monat 400 Bildbände liefern lässt, weshalb er auch eine eigene Buchhandlung in Nachbarschaft seines Pariser Palais erworben hat, wo er zum Einkaufspreis shoppen kann, und in dessen Wohnungen sich 250.000 Bände stapeln, fotografiert seit 1987. Seine Entwicklung hierbei charakterisiert er als »von der Improvisation zur Organisation« gehend. Für seine Arbeiten wurde er 1996 mit dem Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Fotografie geehrt.
»Ich gebe meiner Arbeit keinerlei Prädikat.«
KL porträtiert Orte und Personen. Das Gemeinsame ist deren Eigen-Sinn: ihr Impetus, nur dem eigenen Gesetz zu folgen; zu sein und zu tun, was nicht alltäglich ist; sich simpler Realität zu verweigern, die nur einen trüben Abglanz der Ideenwelt darstellt. Der platonische Idealismus und Sartres Idee der Erweckung zur Freiheit des Ichs bilden sich bei KL unter anderem ab in seinen fotografischen Ansichten der legendären Casa Malaparte auf Capri (»Dieser Ort ist zweifellos nur starken Menschen oder freien Geistern angemessen«) oder eben in der Architektur des Japaners Ando, ebenfalls in der literarischen Figur von Oscar Wildes Dorian Gray, in dem antiken Heros Achilles und in der fiktiven Kunstfigur Jako. In all diese hat er das Model Muse Brad Kroenig verwandelt, der von ihm in klassischen Schwarzweiß-Porträts gemäß »The sense of Beauty« über Jahre hinweg abgelichtet wurde: eine Langzeitstudie ständiger Metamorphose. Wobei der Apparat – also die technische Realisation – KLs eigentliche Muse ist, um ein Wort von Béla Balázs aufzugreifen.
»Ich vergleiche mich mit niemandem.«
KL, der 25 Fotobände im Göttinger Steidl Verlag publiziert hat (auch den aktuellen »konkret abstrakt gesehen«) und der für sich ein ästhetisches Ideal im deutschen Expressionismus und dem Caligarisme erfüllt sieht, zitiert in einem seiner Bücher den Essayisten Paul Munier, demnach »Licht die Agonie des Schattens« sei. Dass etwa der Modefotograf David La Chapelle lästerte, KL habe der Geschichte der Fotografie nichts Neues hinzuzufügen, tut der Geschmähte lässig ab, als wedele jemand eine störende Fliege aus seinem Dunstkreis.
»Mein Motor ist Unzufriedenheit.«
Ende der öffentlichen Präsentation. Ein ausgewählter Teil der Journalistengruppe, mit dem Versprechen von Einzelinterviews ausgezeichnet, wird in einen separaten Raum geleitet. Ratlosigkeit legt sich wie eine fahle Schminkschicht über die Gesichter, die in die Runde blicken und still für sich abzählen, wer wohl wie viele Minuten abbekommt und seine Geschichte mitnehmen kann. Die Dame aus Zürich, die ihren Flug nicht verpassen kann, reist bereits ab. Einzig die Kollegin von RTL, in deren Haaren ein blauer Zier-Schmetterling sein Nest gefunden hat, ist bester Laune. Die Mode-Fachfrau weiß zu berichten, dass Lagerfeld unverdrossen auch gern drei Stunden lang Rede und Antwort stehen würde. Sie braucht nur fünf Minuten. Aber hat nicht mit der Zeitdoktrin von KLs emsiger Entourage gerechnet, die, nachdem das Leitmedium Fernsehen bedient worden ist, nach kaum 20-minütiger kollektiver Konferenz die Sache für beendet erklärt.
Bis 4. Mai 2008; Katalog; Raketenstation Hombroich I, Neuss; Tel.: 02182/57 01 0; www.langenfoundation.de