// Das Bild »Concorde« von Wilhelm Sasnal ist eine Wucht. Vor einem braun-violetten, in sich nuancierten Farbraum befindet sich über drei Stelzen eine flächige Konstruktion, die an eine Skulptur oder an ein Designobjekt denken lässt. Schon durch die Andeutung eines Horizonts scheint sich das Ganze in einer Landschaft zu befinden. Allerdings bleiben die Dimensionen unklar, auch scheinen die Stelzen nicht auf dem Grund zu ruhen, sondern über ihm zu schweben. Die Perspektive erlaubt teils die Auf-, teils die Untersicht. Die vordere weiße Fläche klappt dem Betrachter entgegen, das Objekt selbst verjüngt sich. Von oben tropfen Farbnasen auf das weiße Areal, dahinter findet sich, wie in Reaktion darauf, ein fleckiger, sozusagen verdampfender Umraum. Die technoide, scharf geschnittene Formation selbst wirkt ortlos und außerhalb jeder Zeit.
Normalerweise »funktionieren« die Bilder von Wilhelm Sasnal ohne Titel. Dieser aber klärt das Gesehene weiter: »Concorde«, benannt nach dem legendären Hochgeschwindigkeitsflugzeug, gehört zu einer Reihe von Bildern des jungen polnischen Malers, die mehr oder weniger deutlich ein Flugzeug zeigen, stets in Ausschließlichkeit, hochkonzentriert, atmosphärisch dicht und zugleich nüchtern. Der Traum vom Fliegen ist hier ebenso mitgedacht wie sein Scheitern, das im Absturz einer Concorde bei Paris im Jahr 2000 zum Ausdruck kommt, oder aber die eigene Erinnerung. Denn Sasnal selbst ist noch mit der Concorde geflogen.
Die Kunstsammlung NRW zeigt in der K 21 eine Werkschau des 1972 in Tarnów geborenen, in Krakau lebenden und bereits sehr erfolgreichen Malers Wilhelm Sasnal. Die Ausstellung beweist Mut, denn die Kunst Sasnals besitzt etwas Hermetisches, oft Selbstbezogenes, sie nimmt wenig Rücksicht auf den Betrachter. Jedes Bild ist ein neues Spiel: Vom schematisch illustrativen Realismus über das Ornament bis hin zum gegenstandsfreien Auftrag der Farbe findet sich in seinem Werk so ziemlich jeder Stil. Und jeder neue Ansatz wird von Sasnal, der scheinbar alles kann und doch nur von Mal zu Mal einsetzt, ausgereizt.
Im Untergeschoss des Ständehauses sind die Bilder auf Abstand, jeweils für sich gehängt. Selten lassen sich kleinere motivische oder formale Gruppen ausmachen. Gemeinsam ist den Arbeiten, dass die Farbigkeit gedeckt ist, dominierend sind große Grau- und Schwarzflächen. Eingefangen in einen monochromen, aber lapidar behandelten Grund und mitunter vom Rand angeschnitten, sind die Motive fast immer vereinzelt. Das distanziert Vermittelte von Fotografie wird noch durch die meist stumpfen Oberflächen gesteigert, andererseits weist die Malerei selbst Schlieren und etwas beiläufig Handschriftliches auf. Das erinnert ein wenig an ein Tagebuch. Um die Idee als solche geht es jeweils, darum, einen Einfall auf den Punkt zu bringen. Auf alle Ausschweifung zu verzichten. Um die denkbar größte Ernsthaftigkeit, vielleicht auch: Enthaltsamkeit.
Die Motive und Themen hängen in besonderer Weise mit der Biografie Wilhelm Sasnals zusammen: In der Begrenzung des Sozialismus aufgewachsen, erlebte der Künstler nach der Wende die plötzliche hemmungslose Verfügbarkeit von Konsumgütern, die Reizüberflutung und den maßlosen Zugriff auf die Informationsmedien im Westen als Bruch. In der Malerei Sasnals führte dies zu geradezu schockhaften Momenten, ein Bild konnte jetzt genau das Gegenteil von dem bedeuten, was es zu sein schien, mit einem winzigen Detail – etwa einem Zitat aus einem Film – konnte aller Sinn sich auflösen.
Die geschärfte Hinwendung, die insistierende Wahrnehmung, das tagtägliche Erleben des persönlichen und kulturellen Umfeldes in Krakau, die polnische Gesellschaft, der Katholizismus und – immer wieder – die fehlende Aufarbeitung der Rolle Polens im Holocaust – das sind die zentralen Themen Sasnals. Zu sehen sind die Familie und die Freunde, Flughäfen, Bahnhöfe und Kirchen, aus unterschiedlichsten Perspektiven. Dann subtile, noch verschlüsselte Hinweise auf die Shoah, eingebettet in ein landschaftliches Geschehen. Und schließlich, in den abstraktesten Bildern, Andeutungen der privaten, existentiellen Vergewisserung, etwa der Blick aus der Kapuze oder Spuren der Fingerkuppen im Farbgrund. Das Wunderbare
an dieser Malerei ist, dass jedes Bild seine eigene Geschichte besitzt, ein neues Ereignis darstellt. Auch wenn Hintergründe und Anlässe verborgen bleiben – der Absolutheitsanspruch, den jedes dieser Bilder erhebt, teilt sich mit und ist kaum abzuweisen.
Wilhelm Sasnal, bis 10. Januar 2010, Katalog bei Prestel 29,95 €. Tel. 0211/8381600. www.kunstsammlung.de