Was frei ist, lebt gefährlicher, das weiß jedes Waldvögelein. Erfahren müssen hat dieses Lebensgesetz auch die Kultur, seit sie, die in der freien Gestaltung durch die Kommunen ihr halbwildes Auskommen hat, ins Visier der Sparflinten geraten ist – und der oberste Wildhüter im Land wenig dagegen ausrichten kann. Waldesweit fallen die kleinen Buntgefiederten von den Zweigen.
In die Prosa der politischen Verhältnisse übersetzt, heißt dies: Der Verfassungsauftrag, der in Art. 18 Land und Kommunen zur Pflege und Förderung von Kunst und Kultur verpflichtet, findet immer weniger Erfüllung, weil die Kommunen, die in Nordrhein-Westfalen 80 Prozent der Kultur verantworten, immer weniger Geld haben. Und weil das Land (gesetzt einmal, es wollte dies) keiner Stadt vorschreiben kann, wie sie die für sie »freiwillige Leistung« Kultur erbringt.
In dieser Lage kam 2010/11 (in den Reihen der SPD) der Plan auf, das lockere Verhältnisgeflecht zwischen Land und Kommunen in Sachen Kultur durch ein Gesetz stärker zu regeln, damit die wenigen Mittel effizienter eingesetzt, ein regelmäßiger Überblick über das Vorhandene wie das Gewollte erzeugt, die Förderverfahren vereinfacht und vielleicht sogar den Kommunen in der Haushaltssicherung ein Schutzraum geschaffen werden könnte, der es ihnen ermöglichte, auch aus ihrem Nothaushalt Geld für Kultur auszugeben. Denn bislang kann die Kommunalaufsicht solchen Kommunen immer noch sagen: Spart an eurem Theater, Museum oder was ihr sonst so habt! Es kam also der Plan auf, Art. 18 Landesverfassung zu einem konkreten Gesetz auszuformulieren.
Sofort erhoben sich Warnungen, dass jede Regelung auf diesem Feld schnell an den Bollwerken Art. 5 und Art. 28 Grundgesetz zerschellen müsse: Freiheit der Kunst und Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden. Gleichwohl, der Plan fand genug Befürworter, um in dreieinhalbjähriger Anstrengung zu einer Gesetzesvorlage heranzureifen: »Gesetz zur Förderung und Entwicklung der Kultur, der Kunst und der kulturellen Bildung in Nordrhein-Westfalen«, kurz Kulturfördergesetz NRW (KFG). Am 12. September hat Kulturministerin Ute Schäfer (SPD) es im Landtag zur ersten Lesung eingebracht.
Dass seine Formulierung so lange benötigte, liegt nicht zuletzt an derselben Gemengelange, verkompliziert durch einen dritten Faktor: Geld – das nicht nur den Kommunen, sondern auch dem Land fehlt. Folglich schrieb am Entwurf nicht nur das Kulturministerium, sondern auch das (für die Kommunen zuständige) Innen-, vor allem jedoch das Finanzministerium mit. Studiert man nun die 34 Paragrafen des KFG-Entwurfs, so hat man nicht nur die kräftigen Ruderschläge der (wenigen) Kulturpolitiker der beiden Regierungsparteien im Ohr, sondern hört mindestens ebenso laut das Rauschen und Gurgeln der Riemen, die die (auf jeden Fall zahlreicheren) Finanzpolitiker derselben Parteien quer in die Strömung halten. So heißt es in der Einleitung zum Gesetz:
»Um die Wahrnehmung des Verfassungsauftrages unter veränderten Bedingungen auch in Zukunft sicherzustellen, erscheint es notwendig, für die Kulturförderung durch Gesetz eine verbindliche und verlässliche Grundlage zu schaffen. Mit dem vorliegenden Entwurf schafft das Land Nordrhein-Westfalen … eine verfassungsrechtlich fundierte gesetzliche Regelung für die Kulturförderung.«
Ein Hü also. Dem sofort eilfertig ein Hott hinterhergerufen wird: »Dieses Gesetz begründet keine subjektiven Rechte Einzelner, insbesondere keine Ansprüche auf Landesförderung. Es ergeben sich keine zusätzlichen Kosten für den Landeshaushalt. Dieses Gesetz enthalt keine Vorgaben für die Gemeinden, die zu zusätzlichen Belastungen für die kommunalen Haushalte fuhren.«
»Da braucht man eigentlich gar nicht weiterzulesen!«, entfuhr es dem kulturpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Thomas Sternberg, in der Debatte im Landtag. Nun, weiterzulesen lohnt durchaus, nicht zuletzt auch in der (fast fünfmal so umfangreichen) Begründung zum Gesetz, wo man erfährt, dass es auf Landesebene, sowohl in der Politik wie in der Ministerialbürokratie, Menschen gibt, die sehr respektvoll und klug und verständig über Kunst und Kultur zu sprechen imstande sind. Wären all die dort formulierten hehren politischen Ziele (»die schöpferische Entfaltung des Menschen zu ermöglichen«; »den Künstlern eine freie künstlerische Entfaltung zu ermöglichen«; »in der Gesellschaft zu Offenheit und Verständnis für künstlerische Ausdrucksformen … beizutragen und die Menschen zur kritischen Auseinandersetzung mit Kultur und Kunst zu befähigen«) mit Ansprüchen verbunden, NRW würde zum Kulturschlaraffenland.
Auch wer die jahrelange Debatte darüber, ob die Kultur nicht zur kommunalen Pflichtaufgabe erklärt werden solle, verfolgt hat, erkennt im vorliegenden Entwurf die endgültige Antwort: Sie sollte nicht. Weil angeblich verfassungsrechtlich nicht zu machen. Da das Ganze nichts kosten darf, ist von der schöne Idee der Kulturpauschale, die Gemeinden zwingend für Kultur ausgeben sollten, ebenso nicht mehr die Rede.
Aber was ergibt sich aus diesem Gesetz dann überhaupt? Konkret und kurzfristig wohl nichts; dass KFG ist in der vorliegenden Form eine Ausformulierung des Staatsziels Kulturförderung (ein »Besinnungsaufsatz«, wie MdL Sternberg kritisiert). Mittelfristig wird die vorgesehene Entbürokratisierung des Zuwendungsverfahrens (§ 28) für viele Kulturinstitutionen und -initiativen allerdings eine Erleichterung darstellen; ebenso die Bestimmung der sog. Festbetragsfinanzierung (die flexibler ist und Anreize für Drittmittelgewinnung bietet) als Regelfinanzierungsart. Zum dritten mag das in § 30 definierte Instrument von Fördervereinbarungen zwischen Land und Haushaltssicherungsgemeinden tatsächlich diesen oder jenen städtischen Kulturbestand vor der Kommunalaufsicht retten können – wenngleich nebulös ist, woher das Geld dafür kommen soll (s.o.: »Es ergeben sich keine zusätzlichen Kosten für den Landeshaushalt«).
Längerfristig aber könnte das KFG tatsächlich das bewirken, auf das seine Geburtshelfer als Einziges noch hoffen, nachdem ihre anfänglichen Träume, ihrem Kind ein Silberlöffelchen in den Mund zu legen, zerplatzt sind: Dass nämlich das KFG das Land zu kontinuierlicher Kulturförderung verpflichtet, was künftig Mittelkürzungen erschweren oder gar politisch unmöglich machen würde. Man wird sehen – anfangs ist jeder Beton Brei. Da außerdem das neue Gesetz der Landesregierung vorschreibt, jeweils anfangs einer Legislaturperiode einen Kulturförderplan aufzustellen, der die Ziele der Förderung konkretisiert (und damit den Förderungsempfängern Planungssicherheit gibt) sowie dem Landtag einen Landeskulturbericht (über die Lage im Land und in den Kommunen) abzugeben, wären endlich Messinstrumente vorhanden, um Soll- und Istzustand zu vergleichen und »die Politik zu Erklärungen zu veranlassen, wie hoch sie die Kultur einschätzt« (Gerhart Baum).
Wie geht es weiter? Mit einstimmigem Beschluss des Plenums ist der Gesetzentwurf in den Landtagsausschuss Kultur und Medien (federführend) sowie den für Kommunales überwiesen worden; vor der zweiten Lesung werden Kulturleute aus NRW zu einer weiteren Anhörung eingeladen. Vielleicht gelingt dies alles bis zum Jahresende. Die Kultur hat nur noch wenige Freunde, weder in der roten, noch in der grünen oder schwarzen Parteispitze; am allerwenigsten in Hannelore Kraft (im Unterschied zu ihrem Vorgänger Jürgen Rüttgers, der zumindest eine Art Schirmherr war). Da ist es dann unwahrscheinlich, dass sich (der einsame) Thomas Sternberg gegen die Regierungsfraktionen sowie deren Kulturpolitiker Andreas Bialas (SPD) und Oliver Keymis (Grüne) – beide ähnlich einsam – gegen die eigene Regierung durchsetzen und dem KFG Zähne einziehen. Aber die Hoffnung stirbt ja zuletzt: Nach der Anhörung, die die Regierung vor Verabschiedung ihres Gesetzesentwurfs durchgeführt hatte, wurde immerhin der § 9 entschärft, der in seiner ersten Fassung eine institutionelle Förderung von Kultureinrichtungen durch das Land an die Bedingung koppeln wollte, dass diese auch Aufgaben der kulturellen Bildung wahrnähmen. Im verabschiedeten Entwurf ist daraus eine Kann-Bestimmung geworden. Immerhin.
Gesetzentwurf KFG unter www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-6637.pdf