// Am 6. Dezember 1912 machte Ludwig Borchardt in Tell El Amarna am Nilufer seinen größten Fund. Unter Punkt sieben seines Grabungstagebuches verzeichnete der Deutsche die Begegnung mit der ägyptischen Königin, und die Begeisterung strahlt sogar durch den knappen, preußisch-militärischen Stil: »Lebensgroße bemalte Büste der Königin, 47 cm hoch. Farben wie eben aufgelegt. Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen.« Wenig später trat Nofretete, Borchardts »bunte Königin«, die Reise nach Berlin an. Ehe dort jedermann die Büste bestaunen konnte, vergingen aber noch zwölf Jahre. Was Borchardt befürchtet hatte, trat prompt ein: Ägypten forderte seine Nefertiti zurück. Und kürzlich erst, zur Wiedereröffnung des Berliner Neuen Museums, erinnerte Ägypten an diesen Wunsch. Die in der Tat naheliegende Frage, was antikengrabende Europäer wie Borchardt im Orient, in Asien und Afrika eigentlich verloren hatten, welche – politischen – Motive bei der Buddelei mitspielten, das beleuchtet eine Ausstellung im Essener Ruhr Museum: »Das große Spiel«.
Als erste Wechselausstellung nach Eröffnung der ständigen Schau mag das überraschen: Was hat das RuhrMuseum mit Zeugnissen ferner Hochkulturen zu tun? Nun – eine archäologische Sammlung gehört zum Gründungserbe des Museums, und seither sind durch Ankäufe wie Schenkungen einige hervorragende Stücke aus dem Vorderen Orient, Ägypten, Griechenland, Etrurien und Rom in seinen Besitz gelangt – von einer Qualität, so Museumschef Ulrich Borsdorf, die sonst nur in großen Häusern wie Louvre oder British Museum zu sehen sei. Die Frage, wie solche Schätze in europäische Museen gelangten, passt also nach Essen so gut wie nach Paris, London oder Berlin.
Eine Antwort hat Archäologin Charlotte Trümpler schon bei der Wahl des Titels für ihre Ausstellung gegeben: »Das große Spiel« rührt von »The Great Game« her, der imperialen Konkurrenz Großbritanniens und Russlands um Einfluss in Zentralasien. Ganz ähnlich sieht Trümpler den europäischen Wettbewerb um Grabungsplätze und spektakuläre Funde: In der Zeit des Kolonialismus waren »Archäologie und Politik eng verbunden, und politische Gründe sowie imperiale Machtinteressen beeinflussten maßgeblich die Wahl von Ausgrabungsplätzen und Expeditionen«, schreibt sie im Katalog.
Das heißt aber nicht, dass es die sprichwörtlichen archäologischen Abenteurer nicht gegeben hätte, die damals mit anderen Pionieren als Helden gefeiert wurden. Unter ihnen zählte Nofretetes Ausgräber Borchardt als Ägyptologe noch zu jenen mit dem plausibelsten beruflichen Hintergrund. Selbst unter dem Aspekt, dass Archäologie als eigenständige Wissenschaft sich erst zu etablieren begann, waren unter den Jägern antiker Schätze viele Amateure: Architekten, Ingenieure, Geologen, Juristen, Kaufleute, Offiziere, Diplomaten, Priester, darunter manch seltsamer Vogel. Schließlich brauchte es ein wenig Exzentrik und Abenteuerlust, wenn man damals monate- und jahrelang durch abgelegenste Teile der Welt reis-te, womöglich unter Lebensgefahr, als Einheimischer camoufliert.
Kopf der Nofretete. Diese Kopie für Wilhelm II. hat im Gegensatz zum Original zwei Augen.Foto: Huis Doorn, Niederlande
In der Ausstellung kommen sie alle vor, mit Fundstücken, Ausrüstungsgegenständen, Briefen, Fotos und Filmen: als Local hero der in (Essen-) Steele geborene Entdecker des Pergamonaltars, Carl Humann, ein gelernter Eisenbahningenieur. Thomas E. Lawrence, immerhin vom Fach, aber später als Spion und Instrument britischer Politik zur fast sagenhaften Figur geworden: »Lawrence von Arabien«. Sein österreichisch-ungarisches Pendant Alois Musil, Priester aus Mähren und Großcousin des Schriftstellers. Der irrlichternde Schwede Sven Hedin, gelernter Geologe, über 40 Jahre lang bis 1935 vor allem in Zentralasien unterwegs und wegen seiner unverbrüchlichen Germanophilie vor allem in Deutschland ein Schulbuchheld. László Ede Almásy – ungarischer Pilot, Soldat, Abenteurer und Wüstenforscher, Jahrzehnte später Vorbild für jenen »Englischen Patienten«, der Millionen Kinobesucher zu Tränen rührte.
Sie alle waren aus eigenem Antrieb unterwegs, konkurrierten oft direkt um die gleichen Gebiete und Projekte, arbeiteten gelegentlich auch zusammen. Mehr oder minder deutlich aber standen hinter ihren oft aberwitzigen Unternehmungen übergeordnete Interessen. Nicht selten ging die Sicherung vielversprechender Grabungsplätze mit imperialistischer Expansionsstrategie Hand in Hand. Diplomaten betätigten sich als Archäologen, und Forscher wurden auf Diplomatenposten installiert. Die oft intime Vertrautheit der Forscher mit Land und Leuten, ihre selbst hergestellten Karten bis dato unerschlossener Gebiete fanden früh beim Militär Interesse. Im Ersten Weltkrieg dann arbeiteten viele von ihnen, direkt oder indirekt, mit den Streitkräften des eigenen Lagers zusammen. Und bei der politischen Neuordnung im ehemals osmanischen Reich spielte die britische Archäologin Gertrude Bell eine so prominente Rolle, dass sie zu den Gründern des Irak gezählt wird.
Fast immer jedenfalls ging es um nationales Prestige: Welcher Vertreter des Abendlandes erwies sich als besonders geeignet, das Erbe vergangener Hochkulturen zu finden und zu bewahren? Und weil Letzteres nach dem Selbstverständnis der europäischen Mächte vor allem durch Abtransport ins Mutterland gewährleistet war, entwickelte sich ein Wettstreit um die Ausstattung wichtiger Museen mit spektakulären Funden. Deutschland war auch dabei Nachzügler und hatte nirgends direkten Zugriff auf archäologisch interessante Gebiete. Um so heftiger drängten die Deutschen ins Geschäft. »Preußen muss graben, damit wir nicht wieder einmal das Nachsehen haben«, tönte etwa 1886 Adolf Erman, Direktor der Ägyptischen Abteilung der Berliner Museen. Zwei Jahre später kam Wilhelm II. auf den Kaiserthron. Der leidenschaftliche Archäologie-Dilettant förderte Expeditionen und Grabungen mit Geld und Beziehungen. Seit 1901 stand die 1898 gegründete »Deutsche Orient-Gesellschaft« unter seinem Patronat, und zu ihren großen Erfolgen zählt der Fund Nofretetes.
Gegen Kritik an ihrer zeittypisch grundsätzlich kolonialistischen Attitüde nimmt Charlotte Trümpler Forscher und die hinter ihnen stehenden Staaten in Schutz: Viele Kulturschätze wären sonst nie entdeckt und/oder durch Raubbau und Naturkatastrophen zerstört worden. Die Aufteilung der Funde zwischen Findern, Auftraggebern und den etablierten staatlichen Strukturen am Fundort sei in den meisten Fällen fair und vertraglich geregelt gewesen. Das gelte auch für die Auslands-Ägypterin Nofretete, und Trümpler gibt zu bedenken, ob sie als vielbestaunte »Botschafterin« in Berlin nicht viel wertvoller sei für ihr Land und den dortigen Tourismus. Allerdings wurde das ägyptische Fundteilungsgesetz 1914 so geändert, dass »einzigartige Stücke« in Ägypten bleiben sollten. Dass Nofretete im Nachhinein als solches Stück angesehen werden würde, ahnte ihr Entdecker. Deshalb wollte Ludwig Borchardt nie, dass sie öffentlich gezeigt würde. Seit man 1924 gegen seinen Rat handelte, ist der Streit um die Schöne in der Welt und steht für das insgesamt zumindest ambivalente Erbe der abendländischen Forscher.
Wer in Essen, inmitten 800 anderer archäologischer Schätze aus dem In- und Ausland, Nofretete unter vier Augen trifft, braucht sich über ihre rechtmäßige Anwesenheit keine Sorgen zu machen: Sie ist eine zweiäugige Kopie, die der gestürzte Kaiser Wilhelm in sein Exil nach Doorn mitnahm. Mit dem Original kann man bekanntlich nur unter drei Augen kommunizieren. //
12. Feb. bis 13. Juni 2010. Tel.: 0201/88 45 200. www.ruhrmuseum.de