Text: Andreas Wilink
Joseph Roths wundersame Roman-Legende eines neuen »Hiob« weiß viel von Schicksal, von Gott und Gnade, Bangen und Hoffen, von der Rebellion gegen den Himmel und der Hölle auf Erden. Die ist zuerst die Ukraine unter der Knute des Zaren, später Amerika und dessen effektiver Kapitalismus. Mendel Singer, der »ganz alltägliche Jude«, ist Lehrer im Schtetl, hat eine Frau, Deborah, zwei stramme Söhne, eine liebestolle Tochter und ein Sorgenkind: Menuchim, den Epileptiker, der nur »Mama« greinen kann. Als der ausgewanderte Sohn Schemarjah, der sich als Businessman nun Sam nennt, seine Familie nach New York nachholt, lässt man den kranken Menuchim zurück. Mendel wird seines Lebens nicht froh. Deborah stirbt aus Kummer, als Sam im Ersten Weltkrieg fällt, Sohn Jonas gilt als verschollen in Russlands Weiten, Tochter Mirjam wird wahnsinnig. Mendel – ohne Heimat, Tradition, Familie – hadert mit dem Gott Israels. Aber was ist mit Menuchim, dem Zurückgebliebenen?
In den Bochumer Kammerspielen gelingt Lisa Nielebock eine konzentriert reduzierte Aufführung. Die Bühne (Oliver Helf) – ein Holzkasten mit zwei großen Schrägen – ist leer, Atmosphäre ausgesperrt und ausgespart. Sie wird rein über das Spiel und die Erzählung hergestellt. So bringt das Ensemble Roths modern mythischen Text in Form. Es gibt kaum Requisiten: verspiegelte Sonnenbrillen, Turnschuhe, Baseballkappen, ein wenig Strass-Schmuck und Make-up, schon ist der Wechsel von der Alten zur Neuen Welt getan. Man twistet den Materialismus und vergöttert den Fetisch prosperity im neuen Babylon oder neuen Jerusalem, je nach Perspektive.
Glücksgriff der Inszenierung ist Jana Schulz als Menuchin, die das Andere der Erscheinung betont, obwohl sie schlicht im Anzug steckt, und staunend fremd in die Welt hinein blickt. Immer anwesend ist, alles aufzusaugen scheint, später dann an den Wänden entlang tastet, Gehen und Stehen übt, sich entwickelt, koordiniert, die Glieder regt, erwacht aus dem Dämmer. Als sich Vater
(Michael Schütz) und Sohn begegnen, öffnet sich das geschlossene System – auch das der von Mendel fixierten Muster, falschen Gewohnheiten und Gewissheiten und zementierten Konstellationen – und lässt Luft und Licht, aber auch die Schwärze der Nacht hinein.