Text: Honke Rambow
Lesen erhellt
Fragt man die Leiterin der Folkwang-Bibliothek Viola Springer nach ihrem Lieblingsplatz im Gebäude, führt sie einen ins Souterrain, wo die Taschenpartituren aufbewahrt werden. In dem schlichten schmalen Raum tritt die Architektur in den Hintergrund. »Ich mag diese Reihen der gelben Bändchen in den schwarzen Systemregalen einfach sehr«, gesteht Springer. Hier unten genießt sie die Anwesenheit des puren Buches, was nicht bedeutet, dass sie Max Dudlers Architektur der Bibliothek nicht schätzen würde.
Im Gegenteil, so betont sie immer wieder: Es sei ein großes Glück, mit einem Architekten gearbeitet zu haben, der bereits Erfahrung mit dieser Bauaufgabe in Berlin und Münster gesammelt hatte. »Ich musste gar nicht viel zur Funktionalität erklären.« Nur das Raumprogramm wurde auf ihren Hinweis geändert, als sie 2006 in die bereits begonnenen Planungen einstieg: Die gedachten Büros für die Musikwissenschaft mussten weichen, da sonst nicht genug Platz für die Bücher gewesen wäre. Insgesamt 190.000 Medien beherbergt die Bibliothek. Mehrere Einzelbestände aus dem Ruhrgebiet wurden zusammengeführt, so dass sich nun eine der größten musikwissenschaftlichen Sammlungen Deutschlands in Essen findet.
Der Schweizer Max Dudler, der Büros in Berlin, Frankfurt und Zürich unterhält, ist ein Meister der Rasterfassade. In seinen gelungenen Entwürfen wird die klassizistische Strenge durch perfekte Proportion und den detailverliebten Einsatz hochwertiger Materialien lebendig. Die Fassade der Folkwang-Bibliothek ist da beinahe verspielt. Zwar folgt die Vollverglasung ebenfalls einem durchgehenden Raster, das jedoch durch Fotografien aus einem Steinbruch bei Regensburg von Stefan Müller belebt wird. In einem speziellen Verfahren wurden die zwölf Motive – dem Emaille ähnlich – direkt aufs Glas aufgedruckt, so dass sie beidseitig ihre Brillanz entfalten und dennoch luzide bleiben. Das Bauvolumen gliedert sich in die symmetrische Anlage der Folkwang-Hochschule ein und ersetzt den 1969 abgerissenen Lazarett-Trakt aus dem 19. Jahrhundert.
Über dem Lesesaal im Innern der Bibliothek erstreckt sich ein Luftraum über die gesamte Höhe des Gebäudes, der eine natürliche Belichtung erlaubt. Manche Besucher, erzählt Springer, fühlten sich schon an die Bibliothek in Cambridge erinnert. Das auch hier dominierende rechtwinklige Raster und die Farbe des Holzes der kanadischen Schwarzkirsche mögen solche Assoziationen verantworten. Viel wichtiger ist aber, dass sich die konzentrierte Formensprache auch auf die Studierenden überträgt, denen das Lernen in dieser Atmosphäre wohl bekommt. Bei Dunkelheit leuchtet das »Schmuckkästchen«, wie Max Dudler den Bau nannte, von innen heraus. Das gefällt allerdings nicht jedem. Viola Springer: »Es gab schon Beschwerden von den unmittelbaren Anwohnern, wir seien zu hell.«
Folkwang Bibliothek, Klemensborn 39, 45239 Essen
Auf Zehenspitzen in der Stadtgeschichte
Auch auf 60 Quadratmetern lässt es sich ausgezeichnet bauen, wie die archäologische Vitrine im Elisengarten in Aachen beweist. Entworfen wurde der ellipsenförmige Pavillon von kadawittfeldarchitektur. Das Architekturbüro mit Stammsitz in Aachen und einer Berliner Dependance zählt zu den großen in Deutschland und ist eher für Verwaltungs- und Wohnbauprojekte bekannt. Allerdings widmete man sich schon einmal mit dem vielbeachteten Entwurf für das Keltenmuseum in Glauburg der Archäologie.
So klein sie auch ist, setzt die Vitrine mit ihrer Umhüllung aus doppelt schrägen Edelstahl-Lamellen einen selbstbewussten Akzent im Parkumfeld. Zwischen der offenen Hülle und der Glasüberbauung der archäologischen Fundstätte entsteht ein überdachter Wandelgang für Besucher.
Der Entwurf ging nicht aus einem großen Wettbewerb hervor, sondern aus einer Mehrfachbeauftragung, die 2009 unmittelbar nach der Entdeckung der archäologischen Siedlungsschichten auf dem Gelände entschieden wurde. Nach der Auszeichnung guter Bauten 2014 durch den BDA Aachen folgte nun die zweite. Man könne die positiven Auswirkungen des Pavillons im städtischen Raum jeden Tag beobachten, sagt Architekt Gerhard Wittfeld: »Die Zufriedenheit und Begeisterung der unmittelbar Betroffenen, Bauherren, Nutzer, Anwohner und Passanten, ist uns am allerwichtigsten – die Auszeichnung dann noch das I-Tüpfelchen«.
Möglicherweise spielt er auch auf die Firma DSA Daten- und Systemtechnik an, die finanziell in die Bresche sprang, als die Stadt ihren Anteil am Projekt nicht aufbringen konnte. Dieser beispielhafte Vorgang mag zur Entscheidung des BDA beigetragen haben. Zumal das Unternehmen die Vitrine fürs eigene Marketing nutzt.
Der Bau war aber nicht nur eine finanzielle, sondern durchaus auch eine konstruktive Herausforderung, da der historische Grund nicht beeinträchtigt werden durfte. Die Vitrine steht an einer Stelle, wo sich Funde aus 5000 Jahren Siedlungsgeschichte überlagern. Sie macht damit nur einen Ausschnitt der Ausgrabungen sichtbar, die nach wie vor unter der Erde liegen. Wittfeld: »Der Pavillon steht sozusagen auf Zehenspitzen und wird über Bohrpfähle gegründet, die behutsam zwischen die Funde gesetzt wurden. Das war natürlich tricky. Aber jede Bauaufgabe hat ihre Besonderheiten.« Die spezifische Antwort darauf ist überzeugend.
Schule der Zukunft
Die bauhistorische Bedeutung der Geschwister-Scholl-Schule in Lünen steht außer Frage. Im Gesamtwerk des Architekten Hans Scharoun nimmt sie eine wichtige Stellung ein, bildet zudem ein Doppel mit seinem Schulentwurf im nahegelegenen Marl und stellt einen Schulbau dar, der auch pädagogisch außerordentliche Wege geht. Dennoch stand hier, wie bei vielen Gebäuden der Nachkriegsmoderne, der Abriss im Raum, bevor sich die Stadt Lünen in Kooperation mit der Wüstenrot Stiftung für den Erhalt einsetzten.
In seinem Juryurteil schreibt der BDA: »Eines der wertvollsten Denkmale der Bundesrepublik Deutschland in neuem Glanz. Die Scharounsche Architektur wurde in akribischer, ja geradezu archäologischer Arbeit wieder zu einem Baukunst-Erlebnis.« Hans Scharouns Ideen zu einem Schulbau gehen zurück auf das »Darmstädter Gespräche« genannte Symposium anlässlich der Ausstellung »Mensch und Raum« 1951. Hier entwickelte der Architekt das Konzept von getrennten Pavillonbauen mit eigenem Garten, die jeweils einer Schulklasse zugeordnet sind, wo sich die Kinder in qasifamiliären Einheiten entfalten sollten. In Darmstadt wurde Scharouns Entwurf nicht umgesetzt, doch 1955 beauftragte Lünen ihn auf Betreiben des Stadtbaurates Dr. Kaukars und Oberstudiendirektors Wieloch mit dem Bau. Es dauerte bis 1962 bis der dritte Bauabschnitt fertiggestellt war, ein geplanter vierter wurde nicht realisiert.
Von 2007 bis 2013 wurde die Sanierung der Geschwister-Scholl-Schule bei laufendem Betrieb gestemmt. In intesiven Forschungen wurde das Farbkonzept Scharouns rekonstruiert, die ausgeklügelte Lichtführung wiederhergestellt und die Schule technisch für die Zukunft ertüchtigt. Selbst ein Linoleumboden in der Orginalfarbe wurde in Sonderanfertigung verlegt. Dennoch betont Philip Kurz, der für die Wüstenrot Stiftung das Projekt begleitete, dass es nie darum ging, den Bau in einen Originalzustand zurückzuversetzen: »Wir haben maximal die Veränderungsgeschichte des Gebäudes akzeptiert und sinnvolle Umbauten bestehen lassen«. Für Kurz liegt der Denkmalwert nicht in einem hübschen Museumsstück, sondern in einer lebendigen Schule. »Als gemeinnützige Stiftung, müssen wir das Gemeinwohl immer im Auge behalten. Und das liegt bei dieser Sanierung in ihrer Beispielhaftigkeit.« So wurde im Prozess der Sanierung bei jedem Bauteil geprüft, ob es in seinen Eigenschaften sinnvoll ist oder verbessert werden muss. Häufig fiel dabei die Entscheidung dann doch für das Original aus, da es sich im Zusammenhang der gesamten Konstruktion tatsächlich als die beste Lösung herausstellte. Und nicht zuletzt wurde ein Pflegeplan für den Bau erstellt, in den ganz bewusst die Nutzer – Lehrer und Schüler – miteinbezogen wurden, um zu verhindern, dass in absehbarer Zeit eine Sanierung dieses Ausmaßes noch einmal nötig werden könnte. »Bisher funktioniert das sehr gut«, berichtet Kurz. Und noch etwas hat geklappt. »Der Traum ist, wenn Leute, die das Projekt nicht kennen, hierher kommen und sich fragen, was hier überhaupt gemacht worden ist«, sagt Kurz. Ein Zeichen auch dafür, dass dieses Denkmal in einer lebendigen Zukunft angekommen ist.
Geschwister–Scholl–Gesamtschule, Holtgrevenstraße 2–6, Lünen. »Baudenkmale der Moderne: Geschwister–Scholl–Schule –– Die Geschichte einer Instandsetzung«, Krämer Verlag