Ehrgeizige, schwungvolle Töne sind aus dem Ruhrgebiet zu vernehmen. Zwei Dirigenten setzen seit Spielzeitbeginn alles daran, Dortmund, Gelsenkirchen, Recklinghausen und Kamen neu zu takten. Als designierter und als frisch berufener Generalmusikdirektor sind der Holländer Jac van Steen und der gebürtige Mecklenburger Heiko Mathias Förster in den nächsten Jahren verantwortlich für das Konzert- und Opernleben der Städte.
Die Situation, die van Steen in der selbst ernannten »Musikstadt Dortmund« vorfindet, ist keineswegs nur ermutigend. Zwar werden die Philharmonischen Konzerte fleißig frequentiert, die Oper indes befindet sich künstlerisch und vom Zuspruch her in einer Abwärtsspirale, die aufzuhalten, gar umzukehren, schier herkulischer Kraft bedarf. Mit dem gut 1,90 Meter großen, schon physisch höchst präsenten Jac van Steen hat man möglicherweise solch einen Heroen gefunden. Der 51-Jährige strahlt eine schwer zu widerstehende liebenswürdige Entschlossenheit aus. Beim Antrittskonzert mit den Dortmunder Philharmonikern faszinierte seine ruhig fließende, noch im größten Fortissimo-Getümmel unkomplizierte Zeichengebung.
Über Stationen beim Muziektheater Amsterdam, dem BBC National Orchestra of Wales, den Nürnberger Symphonikern, beim Musikkollegium Winterthur und beim Nationaltheater Weimar kam er nach Dortmund. Obgleich sein Fünf-Jahres-Vertrag erst 2008 in Kraft tritt, reißt er dank seiner aktiven, optimistischen Art bereits mit; bei Mitarbeitern und Musikern herrscht Begeisterung. Van Steen strebt jenes übergreifende Miteinander von Oper, Konzerthaus, Ballett, Chor- und Orchesterakademie an, das hier bisher nie funktioniert hat. Weder die kommunale Kulturpolitik noch die Aussicht auf einen Machtkampf mit Operndirektorin Christine Mielitz, der schon manch einen aufgerieben hat, weckt bei ihm Zweifel. Er registriert »überall offene Türen«.
Voller Elan tritt auch Heiko Mathias Förster an, der das größte Landesorchester, die Neue Philharmonie Westfalen, zur Perfektion führen will. Das Rüstzeug erwarb er, als er nach dem Mauerfall mit nur 23 Jahren überraschend zum Chefdirigenten des Brandenburger Theaters avancierte. Rund 1.500 Konzerte hat er seither geleitet, inklusive Uraufführungen. »Ich habe vor nichts Angst«, sagt der 41-Jährige dann auch. Nach neun Jahren in Brandenburg und 14 Jahren als Chefdirigent der Münchner Symphoniker möchte er den 128 Planstellen starken Orchesterapparat nun ausschöpfen, mit Literatur von Richard Strauss und Mahler das technische Niveau des Orchesters steigern. Dass er damit automatisch in Konkurrenz treten könnte zu den Bochumer Symphonikern und Essener Philharmonikern, lässt Förster als Einwand nicht gelten. In München habe er sich schließlich gegenüber Autoritäten wie Zubin Mehta, Lorin Maazel und Mariss Jansons behauptet und »gute Kritiken erhalten von den gleichen Fachleuten, die auch über die Münchner Philharmoniker oder das Orchester des Bayerischen Rundfunks geschrieben haben«. Vorerst kann Förster nur eine Opernproduktion pro Saison leiten. Er blickt aber voraus auf den Umbruch, den der designierte Intendant Michael Schulz bei seinem Antritt bringen wird. Die geplante Abkehr von Belcanto-Ausgrabungen, mit denen Peter Theiler das Profil des Musiktheaters im Revier schärfte, wird eine neue Phase bringen. Unterdessen ist der Klang des Orchesters nach zehn Jahren unter dem Österreicher Johannes Wildner glanzlos und verwildert. Eine befremdliche Lücke klafft zwischen Försters klarem, befeuernden Dirigat und der (Nicht-)Reaktion der Musiker. Schwerer als Schwächen in einzelnen Instrumentengruppen wiegt die uninspirierte Arbeitsauffassung, die besonders deutlich aus der Geigengruppe spricht. Heiko Mathias Förster wird Zeit brauchen. Vier Jahre hat er, fürs erste. //