TEXT: INGO JUKNAT
Kleines Gedankenexperiment: Angenommen, Sie betreiben eine schlecht laufende Bar. Die junge Klientel, die Sie sich wünschen, kommt nicht mehr, weil das Image Ihres Ladens ein bisschen altbacken und uncool ist. Sie überlegen sich, ob ein paar Sonderveranstaltungen das ändern könnten – Clubabende mit angesagten DJs vielleicht. Nun bietet Ihnen jemand das Veranstaltungskonzept einer anderen, vermeintlich hipperen Bar an. Der Nachteil: Dieses Konzept funktioniert dort seit Jahren nicht mehr. Die hippe Bar wurde regelmäßig verwüstet, die DJs will keiner mehr hören und die einstigen Stammgäste haben sich längst zu interessanteren Orten geflüchtet. Würden Sie auf diesen Deal eingehen?
Das würden Sie vermutlich nicht. Und auch sonst kein vernünftiger Mensch. Die Stadt Duisburg hingegen schon. Die Rede ist von der Ausrichtung der Love Parade. Wir erinnern uns: Diese Techno-Massenveranstaltung läuft in ihrer Heimat Berlin seit vier Jahren nicht mehr – zu viel Müll, zu viele Pillen, zu viele Prolls. Zwar hieß es zu Redaktionsschluss, die Stadt werde keine Gelder zuschießen (insgesamt werden die Kosten auf 850.000 Euro geschätzt), ansonsten gab es aber ein grundsätzliches Ja zur Love Parade aus dem Rathaus. Warum auch immer.
Einer, der die Gestrigkeit der Love Parade begreifen müsste, ist Dieter Gorny. Als Ex-Popkomm- und Ex-Viva-Chef war es jahrelang seine Aufgabe, Musik- und Jugendtrends zu verstehen. Genau dieser Mann hält die mögliche Absage der Love Parade in Duisburg für eine Blamage. Das wäre nicht so schlimm, wäre Gorny nicht auch künstlerischer Direktor von Ruhr.2010. In dieser Funktion verkündet er nun allen, die es nicht besser wissen (darunter auch die Verantwortlichen in Duisburg), die Absage der Love Parade aus finanziellen Gründen sei eine Art jugendpolitisches Versailles.
Dabei ist die Love Parade inzwischen so aufregend und subkulturell wie Marius Müller-Westernhagen. Seien wir ehrlich: Schrill gekleidete Jugendliche, die hinter DJ-Wagen hertanzen, haben mittlerweile den Status einer Karnevalsveranstaltung. Die frühen 90er sind lange vorbei.
Im Grunde ist die Ausrichtung der Love Parade sogar kontraproduktiv für das Image der Region. Die jungen Hipster, die Gorny gerne ins Ruhrgebiet locken möchte, werden vom ausgelutschten Konzept der Love Parade nämlich nicht angezogen. Im Zweifelsfalle kommen genau die Falschen – die Pillenkids und »Kleiner-Feigling«-Raver, die schon in Berlin symptomatisch für die Überlebtheit der Sache waren. Einen langfristigen Ruf als Metropolenraum mit Niveau erarbeitet man sich mit dieser Veranstaltung sicher nicht.
Wenn man schon ins Nachtleben investieren will – warum dann nicht in wirklich subkulturelle Clubs wie das Essener Hotel Shanghai? Oder in hochwertige Elektronik-Events wie die Dortmunder Juicy Beats? Das sind die Plätze und Festivals, deretwegen junge Menschen tatsächlich ins Ruhrgebiet fahren. Nicht für einen Technoballermann, dessen Stern schon vor langer Zeit gesunken ist.