Ein seltenes Bild: Bäume mitten in der Stadt. Direkt neben dem Museum für angewandte Kunst stehen gleich mehrere Prachtexemplare: Ein Blauglockenbaum ist dabei und die Wintergrüne Eiche. Eine dicke Baumhasel und der gut 100 Jahre alte Schnurbaum. Neuerdings sieht man einige mit großen Preisschildern behängt, deren Aufschrift erstaunt: 200.000 Euro. Allerhand. Doch die Schätzung, was ein Baum für uns leistet, scheint fundiert. Immer mehr Forschungsprojekte beschäftigen sich aktuell damit, die Ökosystemleistungen des Baumes in Euro und Cent zu beziffern.
Ein ganz gewöhnlicher Straßenbaum kommt demnach mit seinen Jobs als Schattenspender und Luftbefeuchter, Kühlaggregat und Wasserspeicher, Sauerstoffproduzent, Luftfilter und Lebensraum im Laufe seines Lebens auf diese beträchtliche Summe. Eine Rechnung, die bisher nur wenige aufgemacht haben. »Wertewandel« heißt denn auch die überraschende Freiluft-Installation, ausgeheckt vom Kölner Kollektiv Ökorausch, dessen Mitglieder ebenfalls im Inneren des Museums aktiv geworden sind. Als Ausstellungskurator*innen der Schau »Between the Trees« heben sie den grünen Alleskönner aufs Podest.
Wie schön er doch ist! Denkt man sich vor allem, wenn man das natürliche Gewächs mit dem prominent platzierten »SuperTree« des US-amerikanischen ecoLogicStudios vergleicht. Gruselig schaut diese Fake-Pflanze aus Aluminium, Acryl und grün befüllten PVC-Schläuchen aus. Doch produziert sie mit Hilfe von Cyanobakterien immerhin zehnmal mehr Sauerstoff als die Blätter eines echten Exemplars ähnlicher Größe. Ein Wunderding, aber sicher kein Hoffnungsträger. Als zentrales Stück der Schau wirkt der Hochleistungs-Baum eher abschreckend und wirft Fragen auf: Kann ein sich durch die Evolution nur langsam verändernder Organismus schnell genug auf die sich rasant wandelnden Ansprüche, Bedürfnisse und Herausforderungen der Menschheit reagieren?
Ideen gegen der Ausverkauf der Natur
Im Museum für Angewandte Kunst trifft das EcoLogicStudio mit seinem »SuperTree« auf 19 weitere internationale Künstler*innen und Designer*innen. Das klingt nach mehr, als es aussieht. Denn die 20 sind immer nur mit Einzelwerken vertreten. Alle zusammen kommen locker im lichten Treppenhaus-Saal und im angrenzenden Hof unter. Eine ziemlich überschaubare Ausstellung also – was sich, nebenbei bemerkt, sicher positiv auf ihre Öko-Bilanz auswirkt. Schlaglichtartig geht man in Köln die Sache an, würfelt Einzelstücke zusammen, die den Baum von unterschiedlichen Seiten beleuchten und in ihrer Vielfalt belegen, wie präsent das Thema aktuell in diversen Bereichen und Zusammenhängen ist.
Bäume auf die Bühne. Das sagte sich schon 2018 Klaus Littmann und pflanzte einen Mischwald aus 300 mitteleuropäischen Gehölzen auf das Spielfeld des Fußballstadions in Klagenfurt. Von den Rängen aus betrachteten 200.000 Besucher*innen den kleinen Wald. In der Kölner Ausstellung legen Film und Foto Zeugnis ab von der temporären Aktion, die nachdenklich macht. Wird die Natur eines Tages vielleicht nurmehr in zugewiesenen Zonen zu bestaunen sein?
Was kann man gegen den Ausverkauf der Natur tun? Die Ausstellung bietet ein paar Ideen: Präsentiert werden da etwa Sneaker, die aus der Zellulose von nachhaltig angebauten Eukalyptusbäumen gefertigt wurden. Und Hocker, deren Holz von Bäumen stammt, denen Borkenkäfer zugesetzt haben. Schadholz – meist fällt so viel davon auf einmal an, dass es nicht zeit- und energieaufwändig getrocknet werden kann und gleich entsorgt wird. Anna Koppmann hat eine andere Lösung gefunden: Sie verarbeitet das Holz frisch und hat dazu ein Steck- und Schnürsystem entwickelt, das den Hocker stabil hält, auch wenn das Material noch arbeitet.
Solche eher praktischen Erfindungen werden in Köln flankiert von mahnenden Denkanstößen. Eindrücklich etwa im Hockerturm, den Formafantasma im Museum errichtet hat. Der Titel des Werkes »Bekväm« ist dem Ikea-Katalog entliehen. Und auch die Form der gestapelten Tritthocker zitieren ein weit verbreitetes Modell des schwedischen Billigmöbel-Giganten. Formafantasma hat den Bestseller in unterschiedlichen schnell nachwachsenden Holzarten nachgebaut. Und verbindet mit dem Turm einen Apell: Möbel sollten mindestens so lange benutzt werden, wie der verarbeitete Baum zum Wachsen brauchte.
Egal, wie man auf die Stücke der Ausstellung schaut – fast immer ist das Bestreben zu erkennen, den nötigen »Wertewandel« voranzutreiben. Das gilt auch für fast poetische Positionen, wie sie Andreas Greiners mit einer kleiner Rettungsmaschine für Platanensamen beisteuert oder Giuseppe Licari mit seiner Installation, die von entfremdeten Stadtbäumen handelt. Mit dem Slogan »Dream a New Future« hält Ellen Bornkessel gegen die trüben Aussichten. Im MAKK zeigt die Kölner Künstlerin ein hinterleuchtetes Großfoto, das uns in einen Naturwald im Sauerland abtauchen lässt. Und neugierig macht. Beim Treffen mit kultur.west erzählt Bornkessel über ihr seit Jahren schon fortlaufendes und lange noch nicht beendetes Projekt (mehr dazu lesen Sie hier).
»Between the Trees. Urbanes Grün – Kunst – Design«
bis 16. April
Museum für Angewandte Kunst