Drei Bäume will sie setzen in der Sandlandschaft am Silbersee in Haltern. Dort, wo im Sommer die Sonne am heftigsten sengt und Schatten ein Geschenk ist. Die Neupflanzungen sollen einen verlässlichen Schutz bieten vor der Hitze und den gefährlichen UV-Strahlen, so Deborah Ligorios Gedanke. Gleichzeitig markieren sie den Start zu einem Spaziergang am Ufer entlang. Die Künstlerin hat dazu einen Audiowalk entwickelt, der den Blick auf die Naturphänomene im neu entstandenen Ökosystem in der künstlichen Seenlandschaft lenkt. Während die Quarzwerke ringsum weiter heftig nach dem begehrten feinkörnigen Sand baggern, haben einige Gebiete bereits zur renaturierten Ruhe gefunden, wieder andere wurden zum hochfrequentierten Traumstrand herausgeputzt.
Wenn in Haltern die Badesaison beginnt, startet auch das »Ruhr Ding«. An die 20 Künstler*innen richten sich mit ihren Arbeiten an unterschiedlichen Schauplätzen im Revier ein – vom Badestrand in Haltern über die McDonalds-Filiale in der Herner Fußgängerzone bis nach Recklinghausen in die Zeche General Blumenthal reicht ihr Radius. Und alle kreisen sie irgendwie ums Thema Klima. Damit kann die globale Erderwärmung gemeint sein, aber ebenso das soziale Miteinander.
»Es ist mir wichtig, dass die Themen für das ‚Ruhr Ding‘ ganz viel zu tun haben mit der Region«, sagt Britta Peters. Sie konnte reiche Erfahrungen mit Kunstprojekten ähnlicher Art sammeln – zum Beispiel im Kuratoren-Team der Skulptur Projekte Münster 2017. Als Leiterin der »Urbanen Künste Ruhr« hat sie dann 2019 das »Ruhr Ding« als neues dezentrales Ausstellungsformat aus der Taufe gehoben und die erste Ausgabe unter dem Motto »Territorien« regionalen und nationalen Abgrenzungsbewegungen gewidmet. Dabei dachte sie sowohl an Rangeleien unter den Ruhrgebietsstädten, als auch an den erstarkenden Rechtspopulismus.
Die zweite Ausgabe ihres »Ruhr Ding« blieb im Frühjahr 2020 allerdings Corona-bedingt in den Startlöchern stecken. Bevor der Lockdown kam, war vieles bereits beauftragt oder sogar schon fertig. Wie etwa Michel de Broins gigantische Nachbildung eines Halterner Quarz-Sandkorns, die nun im See installiert wird. Ins Wasser muss, wer das hochglänzende Edelstahl-Gebilde aus der Nähe betrachten möchte. Und sich dann vielleicht den Wert des begehrten Rohstoffs bewusst macht. Gießereien und Glashütten, Maschinenbauer und die Automobilindustrie – alle fragen nach dem feinen, gebleichten Sand. Eine Erfolgsgeschichte, die im 19. Jahrhundert begann und in Haltern eine ganze Silberseenplatte nach sich zog.
Mit dem Territorien-Projekt war Peters 2019 in Bochum, Dortmund, Essen und Oberhausen unterwegs. Dass sie die Schauplätze für das »Klima-Ding« nun weiter im Norden des Ruhrgebiets sucht, hat einen Grund: »Diese Gegend ist unter Umweltgesichtspunkten noch immer am stärksten beeinträchtigt durch die Industrialisierung«, sagt sie. Der Süden habe die montane Vergangenheit weiter hinter sich gelassen und sich von ihren Folgen besser erholt. Der Norden sei noch nicht so weit.
Vielleicht hilft ihm Hayden Fowler ja ein Stückchen voran auf dem Weg back to nature. Der Künstler will in der ehemaligen Weißkaue der Zeche Blumenthal in Recklinghausen eine Art künstliche Landschaft anlegen, wo alle möglichen Pflanzen wachsen sollen, die hier einst heimisch waren. Längst sind sie aus dem Revier verschwunden, weil andere Arten sie verdrängt haben oder weil die Industrialisierung ihnen das Leben zu schwer gemacht hat. Gehegt, gepflegt und belebt durch ein künstlerisches Bewässerungssystem, soll hier nun alles neu erblühen. Neben Fowlers Pflanzen-Aufzucht plant die in Kuwait geborene und mittlerweile in Berlin beheimatete Monira Al Qadiris eine Installation aus effektvoll lackierten Ölbohrköpfen – schillernd und rotierend werden sie einen Hauch von Science Fiction in die alte Zeche zaubern.
Nach Stopps in Haltern und Recklinghausen macht die Ruhr-Ding-Reise in Herne halt. Nicht nur Autofahrer können sich dort im Heimatmuseum »Unser Fritz« anschauen, wie das wild wuchernde Ruhrgebiet seit den 60er Jahren begradigt und für die Zukunft einbetoniert wurde. Auch in Herne folgte man damals dem Ideal der autogerechten Stadt. Wie uns das unwirtliche Ergebnis bis heute prägt? Auch solchen Fragen wird die Schau nachgehen. Wer mit dem Zug anreist, kommt im Bahnhof am Alten Wartesaal vorbei. Dort schaut Ana Alenso über den Tellerrand. Die Arbeit der in Venezuela aufgewachsenen, längst in Berlin lebenden Künstlerin führt in den Amazonas, wo illegale Goldgräber tiefe Schneisen in den Regenwald schlagen. Mit verheerenden Auswirkungen für Pflanzen, Tiere und das Klima.
Was wäre wohl, wenn alle mitreden könnten? Kratzdistel und Weinbergschnecke, Mönchsgrasmücke…. Die in Wien und Berlin beheimatete Künstlergruppe »Club Real« meint es ernst und schaut genau hin, was da so kreucht und fleucht, wächst und gedeiht. Etwa in Gelsenkirchen. Jeder, der dort in einem abgesteckten Lebensraum daheim ist, bekommt eine Stimme im »Parlament der Organismen«, wo Abgeordnete die Interessen aller Lebewesen und Gewächse diskutieren und um Lösungen ringen. Viele Fürsprecher würde dort sicher das »Ruhr Ding« von Natalie Bookchin finden. Lange schon hatte Britta Peters die US-amerikanische Medienkünstlerin im Auge, doch wegen der weiten Wege bisher immer gezögert vor einer Zusammenarbeit. Vor allem weil es beim »Ruhr Ding« um ortsspezifische Arbeiten gehe, die einen längeren Aufenthalt im Revier voraussetzten. Corona und die neue Rolle, die in der Pandemie dem Digitalen als Treffpunkt und Ort des Austauschs zugewachsen sei, habe sie aber zum Umdenken gebracht.
Bookchin hat ihr Projekt nun einfach von New York aus geplant. Sie bat Menschen in Quarantäne um kleine Handy-Videos, die Geräusche des eigenen Körpers aufnehmen sollten und Dinge, die sie in ihrer unmittelbaren Umgebung sehen oder hören. Daraus entsteht eine große Video- und Soundinstallation, die ihren Weg ins Revier finden wird – ganz ohne klimaschädlichen Langstreckenflug.
DAS »RUHR DING: KLIMA« LÄUFT
VOM 8. MAI BIS ZUM 27. JUNI
AN UNTERSCHIEDLICHEN ORTEN IN
HALTERN, RECKLINGHAUSEN,
HERNE UND GELSENKIRCHEN