TEXT: GUIDO FISCHER
Ton Koopman hat nur eine Botschaft. Aber die hat es in sich, wenn er sie verkündet. Wenn er aller Welt zeigen will, warum für ihn Johann Sebastian Bach der Größte überhaupt ist, macht er das nicht etwa auf demütige Weise. Bei Koopman wird Bach zum agilen Energieträger, bei dem die Tempi bisweilen so angezogen werden, dass es einen schwindelt. Tritt Koopman aber plötzlich auf die Bremse, ist man auf andere Art wie von Sinnen.
Filigran wie ein Bildhauer formt er dann Momente des Empfindsamen und Innigen plastisch heraus. Zu genießen ist Klang gewordener Seelenbalsam. Beim Niederländer Koopman besitzt der Komponist somit alles, was man sich wünschen kann: Lebensfreude und Tiefgang, Eloquenz und Strenge.
Der 65-jährige Dirigent, Cembalist, Organist und Musikwissenschaftler gilt längst als die Eminenz in Sachen JSB – trotz Nikolaus Harnconcourt oder John Eliot Gardiner. Im Gegensatz zu den Kollegen aus der Fraktion der historischen Aufführungspraxis hat Koopman fast nichts anderes gemacht, als sich mit dem Schaffen des Thomaskantors zu beschäftigen. Natürlich tauchen allein in Koopmans opulent angewachsener Diskografie auch Namen wie Vivaldi, Händel und Mozart auf. Gerade mit seinem Einsatz für den Bach-Zeitgenossen Dietrich Buxtehude hat Koopman in den letzten Jahren Pionierarbeit geleistet. Aber bei Bach ist für ihn das letzte Wort nie gesprochen. Die Matthäus-Passion hat er beispielsweise bereits rund 150 Mal dirigiert. Doch jedes Mal ist es für ihn ein komplett neues Werk, das zu neuen Perspektiven herausfordert. Darin liegt für ihn die eigentliche, die große Inspiration.
Bach als work in progress – diese Betrachtungs-weise kommt ausgerechnet aus dem Munde eines Musikers, der selber mal zu den radikalen Verfechtern der wohlinfomierten, authentischen Interpretation zählte, gemäß seinem Studium bei einem der Alte Musik-Päpste, dem Cembalisten Gustav Leonhardt. Koopman muss aber selber heute leicht schmunzeln, wenn er an die Zeiten denkt, in denen »wir Zeugen Jehovas« waren. Als man vibratoloses Musizieren predigte und sich mit Darmsaiten an Naturhörner kettete. Auf museales Instrumentarium legt Koopman zwar immer noch Wert, doch nur, wenn er mit dem von ihm 1979 gegründeten Amsterdam Baroque Orchestra (ABO) zusammenarbeitet.
Ansonsten kann Koopman durchaus mal Fünfe gerade sein lassen, sobald er Einladungen von Orchestern erhält, die eher im konventionell-modernen Musizierstil zuhause sind. So gab er Anfang dieses Jahres, nach Dirigaten etwa bei den amerikanischen Spitzenorchestern aus Boston und Chicago, sein Debüt mit den Berliner Philharmonikern. Da die Hauptstadt-Musikanten sich dank ihres Chefs Sir Simon Rattle längst auch mit der Artikulationspraxis des 18. Jahrhunderts auskennen, herrschte zwischen ihnen und Koopman schnell Vertrauen und Verständnis bei Bachs Magnificat und seiner Orchestersuite Nr.3 samt einer bewegenden »Air«.
Im Konzert beim Klavierfestival Ruhr, das Koopman mit seinem ABO gibt, stehen fünf Bach-Concerti für zwei bzw. drei Cembali auf dem Programm. Auch hier erweist er sich als ein eher undogmatischer Draufgänger mit enormem Rhythmusgefühl. Selbstverständlich weiß Koopman, dass er mit seinem Spiel manch einen Cembalo-Puristen gehörig vor den Kopf stoßen wird. Insgeheim vermutet er aber, dass sie nur eifersüchtig darauf sind, »so spielen zu können und zu dürfen wie ich«. So zu spielen, dass die Himmel rühmen.
Ton Koopman und Solisten des Amsterdam Baroque Orchestra: Tini Mathot, Patrizia Marisaldi, Pietro Paganini; 18. Juni, Historische Stadthalle Wuppertal; www.klavierfestival.de