TEXT: ANDREAS WILINK
Mit dem Kaffee klappt es nicht, den ganzen Tag über nicht. Erst am folgenden Morgen bekommt Niko Fischer, noch mit einem fremden Tod beschäftigt, endlich eine Tasse serviert. Mal hatte er nicht genug Kleingeld in der Tasche, und die Serviererin nervt mit den verschiedensten Angeboten der »To go«-Mode; mal ist die Kanne leer und wird eben nachgefüllt, mal das Getränk nicht im Angebot, mal der Automat »Außer Betrieb«. Letzteres würde auch ganz gut Niko selbst charakterisieren. Um die 30, Jurastudium abgebrochen, haltlos und ziellos und jetzt auch noch ohne Führerschein, driftet er durch die Hauptstadt. Die sieht so aus, wie er sich fühlt: schwarzweiß. Die Berlin-Ballade über 24 Stunden im Leben des Niko Fischer erinnert darin an Wim Wenders’ noch geteilte Stadt der Engel in ihrer existentiell gefärbten Atmosphäre. Das Tempo, der Stillstand, die Fülle, die graue Leere.
Manches ist nicht geglückt in Jan Ole Gersters Spielfilm-Debüt. Vor allem stört die symbolisch aufgeladene, oft vorhersehbare Stationenfolge mit den dazu gehörenden, von Klischees nicht freien Figuren: der gute Kumpel Matze (Marc Hosemann); die frühere Schulkameradin, die als einstiges hässliches Entlein und nun als blonder Schwan ihre Kränkungen künstlerisch in der alternativen Off-Szene auslebt; besonders Ulrich Noethen als erfolgreicher, ignoranter, pädagogisch dozierender, sein Chefverhalten hervorkehrender Papa Fischer. Aber es gilt ebenso für den Wohnungsnachbarn, der gleich sein ganzes Elend dem Neu-Eingezogenen auftischt, den alten Mann (Michael Gwisdek) an der Bar, der das Private ins Politische führt und einen Splitter der Reichsprogromnacht ins deutsche Herz stößt; und die drei Alkis, Asis und Prolls, die Niko anmachen. Dass man dieses Generationen-Protokoll trotzdem gern anschaut, liegt an Tom Schilling als Niko, der wie ein amerikanischer Antiheld, vielleicht von Walker Percy oder dem jungen Peter Bogdanovich, sein lyrisches Ich durch die eigene Geschichte trägt, verwundert darüber, was aus ihm geworden ist. Absichtslos. Seinen Blick in den Spiegel wird man so leicht nicht vergessen.
»Oh Boy«; Regie: Jan Ole Gerster; Darsteller: Tom Schilling, Friederike Kempter, Marc Hosemann, Michael Gwisdek, Ulrich Noethen; Deutschland 2012; 82 Min.; Start: 1. November 2012.