Fast wäre das Ruhrgebiet eine Region der Musicals geworden – dem Rollschuh sei dank. Denn schon seit 1988 dreht der »Starlight Express« in Bochum seine Runden. Hier begann, was einmal – nach dem Willen von Strukturwandel-Strategen – zum »Broadway Ruhr« hätte werden sollen. 1996 kam »Les Misérables« in Duisburg hinzu, im selben Jahr wurde das Colosseum in Essen mit »Joseph and his multicoloured dreamcoat« eröffnet. 1999 startete in Oberhausen »Tabaluga & Lilli«. Damals sah es kurzfristig so aus, als reihe sich das Ruhrgebiet tatsächlich zwischen den Musical-Hochburgen Hamburg und Stuttgart, vielleicht sogar Wien mit ein. Zehn Jahre später ist klar – die Entwicklung ist eine andere.
Die Spielzeit von »Tanz der Vampire« endet
Denn im Oktober 2019 kündigte Stage Entertainment an, dass im Oberhausener Metronom Theater der Spielbetrieb eingestellt wird. Im Frühjahr 2020 ist Schluss, dann endet die Spielzeit von »Tanz der Vampire«. Zudem erwäge man, im Sommer 2020 das Essener Colosseum zu verkaufen, das ohnehin nur noch ein Gastspiel- und Event-Haus sei. Stattdessen wolle man sich künftig ganz auf sogenannte »stationäre Musicals« konzentrieren, teilte die Produktionsfirma in einer Pressemitteilung mit. Fast zeitgleich ging die Betreibergesellschaft des Duisburger Theaters am Marientor in die Insolvenz. Die angekündigte Premiere von »Wallace« nach der Braveheart-Geschichte wurde abgesagt.
Flops und teure Experimente
»Stage Entertainment kann insgesamt wachsendes Interesse von Besuchern im gesamten deutschsprachigen Raum verzeichnen«, heißt es in einer Stellungnahme. Nur eben nicht im Ruhrgebiet. Gründe dafür gibt es einige: Große Erstaufführungen und Premieren hatten nie in der Region stattgefunden. Teure Experimente wie das Neue-Deutsche-Welle-Musical »Ich will Spaß« in Essen oder »Bat Out Of Hell« mit den Songs von Meatloaf in Oberhausen floppten. Oder wie Stage Entertainment es etwas umständlich formuliert: Man habe »in Summe nicht hinreichend großes Publikum für ein dauerhaft profitables Geschäft gefunden«. »Als nicht subventioniertes Privatunternehmen konkurrieren wir im Ruhrgebiet mit einer der dichtesten Kultur- und Theaterlandschaft Deutschlands«, wird Uschi Neuss, Geschäftsführerin der Stage Entertainment, in der Mitteilung zitiert. Direkte Anfragen bei den Musicalproduzenten bleiben unbeantwortet.
»Durch die Schließung der Musical-Theater geht auch ein Teil des Publikums für die Opernhäuser verloren.«
Tobias Ehinger, geschäftsführender Direktor des Theaters Dortmund
Das Stadttheater als Konkurrenz? Tatsächlich zeigen das Theater Dortmund und das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier regelmäßig große Musical-Produktionen. Tobias Ehinger sieht das aber anders: »Für die Kultur gilt: Je mehr Angebot, desto mehr Menschen kommen mit der Kunst in Berührung und desto größer ist auch die Nachfrage und damit das Publikum«, sagt der geschäftsführende Direktor des Theaters Dortmund. Die Schließung der Musical-Theater sieht er kritisch, weil dadurch eben auch ein Teil des Publikums für die Opernhäuser verloren gehe.
In den 90er Jahren hatten die städtischen Bühnenhäuser kaum mit den großen Musical-Veranstaltern konkurrieren können. Mit ihrer speziell auf die jeweilige Produktion zugeschnittenen Bühnentechnik waren sie den Opernbühnen deutlich überlegen, die Rechte für angesagte Musicals für die städtischen Häuser zu teuer und meist direkt an die Übernahme von Ausstattung und Produktion gebunden. Bis heute kaufen die großen Musical-Produzenten massenhaft neue Stücke ein, nur um sie nicht einem freien Markt zu überlassen.
Spektakuläre Ausstattungen, technische Spielereien
Die teuren Aufführungsrechte sind laut Ehinger ein wesentlicher Faktor bei den Kosten einer Musical-Produktion. Bei den meisten Opern würden sie nicht mehr anfallen. Tobias Werner, Geschäftsführer des Musiktheaters im Revier, sieht als größten Kostenfaktor die Seh- und Hörerwartungen des Musicalpublikums. Spektakuläre, abwechslungsreiche Ausstattungen, technische Spielereien und eine perfekte Soundtechnik seien unerlässlich, um das Spezialisten-Publikum in die Stadttheater zu holen. Ehinger und Werner schätzen, etwa die Hälfte sei an ihren Bühnen sogenanntes »Hauspublikum«, die andere Hälfte potenzielle »Musical-Besucher«.
Für die Opernhäuser bergen Musicals wegen ihrer hohen Produktionskosten Risiken, auch wenn ein Flop wegen der Mischkalkulation nicht existenzbedrohend wie bei den Musical-Häusern ist. Sollten die städtischen Theater die Sparte also ausweiten? Eher nicht. Wirtschaftlich und logistisch gäbe es dafür zu viele Hürden. Im Repertoirebetrieb seien die wirtschaftlichen Möglichkeiten von Musicals begrenzt, so Ehinger. Rentabel würden sie erst durch Masse.
Um die Spielpläne möglichst breit aufzustellen, sind Musicals an den städtischen Theatern allerdings weiterhin wichtig. Profitieren werden sie von der Schließung der reinen Musical-Theater allerdings kaum. Obwohl die Aufführungsqualität heute sogar an den Opernhäusern oft höher ist: »Es geht auch darum, zu zeigen, was das Stadttheater zu leisten im Stande ist«, sagt Tobias Werner. »Wir können Musicals in Originalfassung mit vollem Orchester präsentieren. Bei den kommerziellen Musicals ist das oft nicht mehr so. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum da die Attraktivität und das Interesse abgenommen haben.«
»Tanz der Vampire«, bis März 2020 im Metronom Theater Oberhausen, www.stage-entertainment.de
»Jekyll & Hyde«: 1. und 2. Februar, Theater Dortmund, www.theaterdo.de
»Jesus Christ Superstar«: 23. Februar, 22. März, 3. und 12. April, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, www.musiktheater-im-revier.de