Wie kann ein schwarzes Mädchen das Kind weißer Eltern sein? Ines Johnson-Spain hat mit »Becoming Black« einen Film über ihre eigene Spurensuche gedreht – zu den Wurzeln ihrer Familie, die alles andere als alltäglich ist. Zumindest Anfang der 60er Jahre in der DDR. Fragen nach Identität und Herkunft – auch sie sind seit jeher wichtig, wenn es um das Programm des Internationalen FrauenFilmFestivals in Dortmund bzw. Köln geht. In diesem Jahr kommen gesellschaftliche und politische Umbrüche noch dazu. Denn befragt wird die Zeit »Nach der Wende 1990 – 2020«, also 30 Jahre nach dem Mauerfall.
In einem Jahr allerdings, dass durch Corona seine ganz eigenen Veränderungen mit sich brachte – und auch das IFFF stark beeinflusste. Kurz vor dem Shutdown musste es seine für Mitte März geplante Ausgabe in Köln absagen. Doch die neue Festivalleiterin Maxa Zoller entschied, dass das Festival weder ausschließlich im Netz stattfinden soll, noch das Programm ungezeigt als Corona-Ausgabe in den bereits gedruckten Katalogen verschwindet. So gibt es vom 10. bis 13. September im Kölner Filmforum NRW, in der Filmpalette und im Odeon nun doch einen Großteil des Programms zu sehen – los geht es schon am 9. September mit der Deutschlandpremiere von »Becoming Black«. Am selben Abend werden auch die Preise des traditionellen Debüt-Spielfilmwettbewerbs vergeben. Hinzu kommen unter anderem Filme einer queeren Festivalsektion.
DDR noir: Der Eröffnungsfilm – »Becoming Black«
Schwarz war die Farbe ihrer Einsamkeit. »Man kann nicht im Nichts sein«, sagt eine Verwandte aus Afrika bei einem Besuch für diese Spurensuche und Dokumentation der eigenen – lange unklaren – Geschichte. Die Ermordung von Präsident Lumumba im Kongo, nachdem der seinen von Belgien losgelösten Staat in die Einfluss-Sphäre der Sowjetunion führen wollte, war der historische Moment, als die Mutter der Filmemacherin Ines Johnson-Spain am Ausländerinstitut in Bernau Lucien aus Togo begegnete. Er gehörte zu einer Gruppe junger Afrikaner, die von Ost-Berlin für den Sozialismus ausgebildet und politisch erzogen wurden. Allzu enger Kontakt mit den Bürgern der DDR war eigentlich unerwünscht. Doch die verheiratete Frau bekommt von ihm ein Kind, während der Ehemann in Leipzig studiert. Eine DDR-Biografie der Verwischung, Vertuschung und der Selbstkontrolle. Als Ines mit 13 ins Ferienlager fährt, trägt sie trotz sommerlicher Hitze einen schwarzen Rollkragen-Pullover, um nicht noch dunkler zu werden. Nachdem sie von ihrer Herkunft erfährt, macht sie sich zu ihrer eigenen Verschlusssache und hält sich geheim.
1962 geboren, kommt Ines ins Heim und erhält nur ausweichende Antworten auf die Frage, weshalb ihre Hautfarbe anders sei. Deutsche Familienangehörige ließ man im Ungewissen, »das Problem« war kein Thema, wie der Ehemann ihrer Mutter sagt, für den die Untreue seiner Frau eine sehr schwierige Situation gewesen sei und der Ines dann adoptiert hat. Sie kehrt zurück in den »Schoß« der Familie, wo auch ihr Halbbruder Michael lebt, den die Erinnerung Mühe kostet. Aber irgendwo gibt es noch zehn weitere Geschwister für Ines. Die in konzentrierter Ruhe vorgenommene Recherche auf zwei Kontinenten zeigt eher die dunkle Seele Europas und der »DDR noir« als die Afrikas – und legt offen, wie altes Denken sich geformt hat, statisch geblieben ist und auf welchen Urgründen es sich neu bildet.
Festivaleröffnung: 24. März,19.30 Uhr, Odeon, Köln (wieder am 28. März)
Der Beweger: »Gundermann Revier« von Grit Lemke
Bilder vom Kohletagebau: Räder und Schaufeln fressen sich in die Erde. Wer etwas bewegen und aufbrechen will, muss sich reinknien, sich reinwühlen. Mit seiner Hände Arbeit – und seiner Stimme. Gerhard Gundermann war so einer, von der Offiziersschule geflogen, Baggerführer und Liedermacher, einer der besten der DDR. »Ehrgeizig« in allem, wie seine Lehrerin sagt, »ungeduldig und revolutionsromantisch«, so eine Kollegin aus der Brigade Feuerstein. In Grit Lemkes berührender, mehr als nur eine individuelle Biografie aufschlüsselnder Dokumentation – zwei Jahre nach Andreas Dresens Spielfilm – wird Gundermanns Leben in Archivbildern, Talkshow- und Auftritts-Mitschnitten, Interviews mit ihm und Weggefährten rekapituliert, wird sein Erbe bewahrt und belebt. Hoyerswerda, Landkreis Bautzen, Lausitz, Niemandsland: »Hier sind nur alle Teig fürs Waffeleisen« – »Wo nischt ist, ist alles möglich.« – »Zwischen Männern, Frauen und Maschinen entsteht alles«.
‚Gundi‘, der zwischen Schicht, Studio- und Konzert-Terminen weder rastete noch ruhte, all seine Energie verbrauchte und mit nur 43 Jahren starb, sang, wie er lebte: klar, reell, produktiv, eigenwillig, unverstellt. Mit dem »demokratischen Zentralismus« hatte er nichts im Sinn und zählte sich zu der »übersprungenen Generation«, die nie realisieren konnte, was Sozialismus hätte sein können, nicht in der DDR, nicht nach der Wende. Mit der deutschen Einheit und ihrem »Herz aus Stein« wurde er nicht froh. Für ihn galt: »Den Bogen muss ich spannen«. Der Konflikt mit der Partei blieb nicht aus, doch den Kampf mit dem staatlichen Beton gab er verloren. Als er als Stasi-IM geoutet wird, reagiert Gundermann tief verstört und störrisch. Die Naivität des Weltverbesserers. Denn auch ein anständiger Mensch kann falsche Entscheidungen treffen.
26. März, 20 Uhr, Filmforum NRW, Köln
28. März, 20.15 Uhr, Schauburg Dortmund
Traumzeit: »The Fever« von Maya Da Rin
Hier die hochindustrielle Welt, dort noch die Verwurzelung in der indigenen Kultur und Schamanen-Tradition, im animistischen Denken und bäuerlichen Erbe. Hier die effiziente Moderne der Stadt und einen Schritt vom Wege der viel befahrenen Straße, an der Justino täglich aus dem Bus steigt, um zu seiner Wellblechhütte in der Favela zu gehen, die Grenze zum Urwald: das unergründliche Grün. Als ein unbekanntes Tier gesichtet wird, das schon einige Hausschweine attackiert hat, bleibt offen, ob es Hund, Jaguar oder Totemtier und Fabelwesen ist. Justino (Regis Myrupu) arbeitet im Frachthaften von Manaus und überwacht das Laden und Löschen der Container. Die Hydraulik der Maschinen und die Sprache der Kräne hat frühere, ältere Geheimnisse abgelöst. Justino wird von der Firmenleitung verwarnt, weil seine Konzentration im Dienst nachlasse. Er gerät ins Schwitzen, ist schnell erschöpft, bekommt periodisch Fieber – zudem beschäftigt ihn vieles. Seine im Krankenhaus arbeitende Tochter erhält ein Medizinstipendium in der entfernten Hauptstadt Brasilia. Das wird die häusliche Situation, die geprägt ist vom familiären Miteinander, erheblich verändern. Von Ärzten hält Justino wenig, sie verstünden es ja nicht einmal, in die Träume hineinzusehen, hätten zwar große Augen, aber sähen damit nur das, was direkt vor ihnen läge.
Unter der Oberfläche fließt ein tieferes Traumzeit-Wissen über das Gesetz der Natur und den Ursprung der Dinge, das sich in Justinos unbewegtem Gesicht spiegelt und dem Maya Da Rin mit ihrer behutsamen Regie Raum lässt und Zeit gibt.
25. März, 18.15 Uhr, Odeon Köln
Der deutsche Festivalbeitrag »Nackte Tiere« von Melanie Waelde
»Voll realistisch«, sagt Benni, seien seine Träume. Schöne werden es nicht sein. Schön ist auch nicht das Wachsein. Krass und flau – beides zugleich. Benni (Michelangelo Fortuzzi), Katja (Marie Tragousti), Laila (Luna Schaller), Sascha (Sammy Scheuritzel) und Schöller (Paul Michael Stiehler) gehen noch zur Schule, irgendwo in Brandenburg. Kein halbes Jahr mehr bis zum Abitur. Nicht dass der Abschluss ein Ziel wäre, höchstens eine Etappe auf der Strecke des Ungewissen und Ziellosen. Sascha, der schon den Führerschein und ein Auto hat, wohnt bei seiner Mutter und Stiefvater Stefan – das funktioniert nicht. Benni und Katja leben anscheinend ohne Eltern und gefestigte Strukturen in einer Plattenbausiedlung am Rande von Stadt oder Land, mehr oder weniger zusammen, mehr oder weniger verantwortlich für sich und füreinander. Wenn Benni eine Klausur verpasst, stellt ihn Katja zur Rede. Benni: »Du rennst vor den Sachen weg, ich geh’ erst gar nicht hin.« Viel passiert nicht. Sie trainieren beim Judo, hängen rum, trinken, hören Musik, Sex kommt auch vor. Gefühle müssen nicht mit dabei sein. Aber eine nahezu sprachlose Zärtlichkeit verbindet sie. Und die Einsicht, nicht sein zu wollen wir ihre Eltern. Da ist Wut und Hass, Unlust und Resignation. Melanie Waeldes ruheloses, beunruhigendes Porträt einer schutzlosen Jugend hat keine Antworten, kaum konkrete Fragen: Was wird sein? Was soll kommen? Wie lässt sich leben zwischen »Ich kann nicht weg« und »Ich kann nicht bleiben«? Vielleicht gar nicht.
10. bis 13. September