»Mer losse d’r Dom in Kölle, denn da jehööt hä hin!« Von wegen – nicht, wenn es nach Hugo Wolfgang Philipp geht. Der verlegte 1923 Köln in seiner Erzählung »Der Schrei der Sphinx« aus dem Band »Bocksprünge« kurzerhand an den Nil. Darin entwickelt ein deutscher Erfinder mit der finanziellen Unterstützung eines reichen Amerikaners ein Verfahren, durch gussartige Granitabdrücke Großstädte an anderer Stelle in Originalgröße neu entstehen zu lassen. Eine Art riesiger 3D-Drucker, der mal eben riesigen Kommunen in die Landschaft pflanzt. In der Erzählung sollte es Köln sein, natürlich mit Dom, das auf 1000 Quadratmeilen in Ägypten neu entsteht, verbunden mit dem Plan, die Sahara fruchtbar zu machen.
Hugo Wolfgang Philipp, der 1883 in Dortmund geboren wurde, kann als erster westfälischer Science-Fiction-Autor gelten. Als derjenige, der bereits 1922 in »Der Sonnenmotor« das gesamte Motiv-Repertoire – Superwaffen, der Untergang von Atlantis, die Invasion fremder Völker – abfeuert, die heutzutage zu den Grundlagen der Science-Fiction gehören. Philipp hat direkt zwei Kapitel in Walter Göddens Kompendium »Aliens Welcome!« bekommen, das zudem das Begleitbuch der gleichnamigen Ausstellung auf dem Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde ist. Science-Fiction und Westfalen – dass diese zwei scheinbar so gegensätzlichen Dinge doch zusammenpassen, zeigt Gödden als wissenschaftlicher Leiter des Kulturguts mit seiner über 100 Jahre umspannenden Kulturgeschichte des Genres. Es beginnt im Jahr 1904, als im Mindener Verlagshaus C.C. Bruns die ersten Exemplare von H.G. Wells’ unerhört futuristischem Roman »Die Zeitmaschine« erscheinen, und reicht bis in die literarische Gegenwart.
Deutlich wird wieder einmal, dass Science-Fiction-Literatur alles andere ist als billiger Groschenheft-Schund. Natürlich muss auch die Populär- und Unterhaltungsliteratur dabei sein, wie die erfolgreiche Perry-Rhodan-Reihe, die sich seit über 60 Jahren verkauft und in dieser Zeit von zwei Dutzend Autoren fortgeschrieben wurde. Es bauten auch westfälische Autoren an diesem Universum mit – etwa Walter Ernsting, der als »Clark Darlton« zum produktivsten SF-Autoren der 50er Jahre wurde und 193 Rhodan-Hefte und 24 Rhodan-Taschenbücher verfasste.
In unserer literarischen Gegenwart sind es Autor*innen wie Josefine Rieks oder Jörg Albrecht, die das Genre Science-Fiction für ihre Romane nutzen. Rieks mit der Dystopie »Serverland« über eine ferne, netzlose Zukunft, in der Jugendliche eine alte Serverfarm entdecken und das Internet wieder aktivieren. Albrecht mit seiner popkultursatten »Anarchie in Ruhrstadt«, die 2044 in einer von der Kreativwirtschaft verheerten, riesigen Metropole Ruhr spielt. Wer es noch abgefahrener mag – der greife zu den irren und selbstironischen »Spacejamiri«-Comics des Zeichners und gebürtigen Hattingers Jamiri. Mit einem Raumschiff, das wie ein verschrammter Fiat-Uno aussieht, Auftritten seiner Freundin Beate als General Kleinschmidt und der Auflösung, was eigentlich hinter dem schwarzen Loch im Universum liegt, das alles verschlingt: Sprockhövel.
Walter Gödden: »Aliens Welcome! Science-Fiction-Literatur aus Westfalen 1904-2018«, Aisthesis Verlag, Bielefeld, 2019, Fachbuch, 604 Seiten, 29,80 Euro
Ausstellung »Aliens Welcome!«
Kulturgut Haus Nottbeck / Museum für westfälische Literatur, Oelde
Bis 8. März 2020