TEXT: GUIDO FISCHER
Um ihn ans Telefon zu bekommen, braucht man Geduld. Gustavo Dudamel ist ständig unterwegs. Er hat drei Chefdirigentenposten in Los Angeles, Caracas und Göteborg; hinzu kommen weltweit Gastspiele bei den allerersten Orchestern in Berlin, Wien oder New York. Zwischen zwei Konzertproben klappt es dann aber. Anscheinend kann Dudamel den Jetset-Stress sofort ausblenden. Fern von Interview-Routine plaudert er, scherzt und lacht drauflos. Als die Rede auch auf Igor Strawinskys Klassiker »Le Sacre du Printemps« kommt, den Dudamel schon als 13-Jähriger in einem Jugendorchester gespielt hat, geht sein lateinamerikanisches Temperament mit ihm durch. »Der Rhythmus ist einfach wie Heavy Metal«, findet er und imitiert als Beleg kurzerhand eine barbarische Paukensequenz aus dem »Frühlingsopfer«. Momente wie dieser zeigen: Weder der rasante Erfolg noch die Lobeshymnen, die Kollegen wie Simon Rattle und Lorin Maazel auf ihn hielten, haben ihm den Kopf verdreht. »Man muss auf dem Boden bleiben«, bestätigt er.
Am Dirigentenpult lernt man den Venezolaner dagegen von einer anderen Seite kennen. Wie entfesselt peitscht er bei Beethoven das Orchester voran. Gustav Mahlers wahnwitzigen sinfonischen Labyrinthen entlockt er eine elektrisierende, unmittelbar existenziell treffende Körperlichkeit. WobeiDudamel zumindest äußerlich noch dem Tragischen einen hoffnungsspendenden Ausdruck zu verleihen versucht, indem er gleichsam den Himmel mit emphatischer Geste umarmt.
Überhaupt besitzt Dudamel zur Musik Mahlers ein besonderes Verhältnis. Mit 16 Jahren gab er sein Debüt als Dirigent mit dessen 1. Sinfonie. Damals leitete er das in Caracas beheimatete Simón Bolívar Youth Orchestra, das aus dem legendären Musiknachwuchs-Projekt »El sistema« entstanden war, und dessen Chefdirigent er bis heute blieb. Als Dudamel 2007 seine erste CD mit Mahlers Fünfter veröffentlichte, war die Musikwelt bereits berauscht von den Qualitäten des 26-jährigen Ausnahmetalents. Im selben Jahr übernahm er den Chefposten bei den Göteborger Symphonikern. Zwei Jahre später trat er die Nachfolge von Esa-Pekka Salonen bei der Los Angeles Philharmonic an. Dass er an der kalifornischen Westküste eingeschlagen ist, bestätigt die vorzeitige frisch besiegelte Verlängerung seines Vertrags bis 2019.
IN LOS ANGELES GRÜNDET ER EIN JUGENDORCHESTER
In Los Angeles hat sich Dudamel mittlerweile nahezu den gesamten Mahler erarbeitet. Nicht nur das. Das von ihm gegründete, von »El sistema« inspirierte Youth Orchestra Los Angeles ermöglicht Kindern und Jugendlichen den Zugang zur Musik. Regelmäßig steht Neue Musik auf dem Programm, mit der er auch die Latino-Bevölkerung in L.A. ansprechen will. Unter den zeitgenössischen Komponisten taucht dabei häufig der Argentinier Esteban Benzecry auf, dessen Rhythmik perfekt zum Vollblutmusiker Dudamel passt.
Ein Orchesterstück Benzecrys setzt er an den Anfang seines Kölner Gastspiels, das er mit einem Geburtstagkind bestreitet: exklusiv. Das exzellente Königliche Concertgebouw-Orchester Amsterdam feiert 2013 sein 125-jähriges Bestehen. Dvořáks 9. Sinfonie, die ebenfalls auf dem Programm steht, hat das Weltklasse-Orchester in seiner Geschichte schon ungezählt oft aufgeführt. Mit Gustavo Dudamel tritt es eine weitere Reise in die Neue Welt an, die bislang kaum gekannte Klangpanoramen offenbaren wird.
Gustavo Dudamel, das Königliche Concertgebouw-Orchester Amsterdam und Christianne Stotijn (Mezzosopran) mit Werken von Benezecry, Lieberson, Dvořák; 7. Juni 2013 Philharmonie Köln; www.koelner-philarmonie.de