TEXT: ANDREAS WILINK
Der Titel passt vorn und hinten nicht zusammen: »Cabaret« und »Crusades«. Der eine Begriff begegnet den Dingen mit Humor, ätzendem Witz und vielleicht auch Lust an der Travestie, der andere ist ein Kampfbegriff. Wael Shawky findet eine unmögliche Symbiose. Die Kreuzzüge der europäischen Ritter mit Christgottes Hilfe waren womöglich im Mittelalter das, was derzeit die IS-Verbände sind, die mit Feuer und Schwert – stilisiert wie zu Zeiten des Propheten, indes mit Attributen der Videospiel-Ästhetik – das Kalifat errichten und die Ungläubigen massakrieren. Die Welt ist aus den Fugen, lautet die akute Diagnose mit Blick auf die Konflikte, zumal denen im Nahen und Mittleren Osten.
Während der Westen die Kreuzzüge am ehesten noch aus dem Kino oder, wenn es hoch kommt, aus Lessings Dramen-Parabel »Nathan der Weise« kennt, ist dieser tausend Jahre alte Übergriff für das muslimische Morgenland nicht im Legendären abgelegt, sondern eine Art »Urkatastrophe« und »Clash of the Civilizations«, womöglich sogar Legitimation für die auch von Al-Qaida ausgesprochene Kriegserklärung.
Der 1971 in Alexandria geborene Ägypter Wael Shawky, der dort und in Philadelphia Kunst studierte, hat als Filmemacher einen historischen, therapeutischen und poetologischen Ansatz. Er spielt Geschichtsstoff nach, genannt: re-enactment, und verknüpft unauflöslich die Fäden von Kunst und Politik – im Screen-Marionettentheater. 2010 begann er mit seiner Trilogie »Cabaret Crusades», deren insgesamt neunzigminütige zwei Teile (»The Horror Show File«, 1095 bis 1099 und »The Path to Cairo«, 1099 bis 1146) in Düsseldorf gezeigt und der dritte aktuell von der Kunstsammlung NRW mitproduziert und im Atelier des Schmela-Hauses vorbereitet wird. Einblick in die Filmwerkstatt Shawky gewinnt man im Vorraum zu der Filmkabine, wo sich hinter Glas das Making-of mit Protagonisten, Requisiten und Materialien ausbreitet.
Als Vorlage dient Shawky »Der Heilige Krieg der Barbaren« von Amin Maalouf, ein Sachbuch aus den achtziger Jahren, das auf Quellen beruht, die die arabische Sicht dokumentieren und das für die Invasion zur Befreiung Jerusalems nach der Synode von Clermont und dem Segen von Papst Urban II. weniger religiöse Motive, als ökonomische und naturgemäß machtpolitische Interessen unterstellt. Parallel zu den fränkischen Heeren machte sich ein Volkskreuzzug mit Bauern, Frauen und Kindern auf den Weg – zur Befreiung auch von den eigenen Sünden.
Sultan Saladins Aufforderung: »Schaut euch die Franken an! Seht, mit welchem Eifer sie sich für ihre Religion schlagen, während wir Muslime keinerlei Begeisterung für den Heiligen Krieg zeigen«, hat Wirkung gezeigt. Die Verhältnisse haben sich total verkehrt.
Die Filme in Shawkys Video-Installation, schon auf der Documenta 13 und in der Galerie KunstWerke Berlin zu sehen und überhaupt vom westlichen Kunstbetrieb nahezu postkolonial vereinnahmt, sehen weder aus wie ein Indiana Jones-Abenteuer noch wie Ridley Scotts monumentales »Königsreich der Himmel«. Wer an seine Kindheit und die »Augsburger Puppenkiste« denkt, hat nicht die falschen Assoziationen. Aber die Puppen, die real an Fäden und im übertragenen Sinn an Strippen hängen oder diese ziehen, die mit den Häuptern wackeln und ihre großen Augen auf- und zuklappen, haben es in sich. Als Material Girls and Men sind sie grundverschieden: historische Holzpuppen aus einer Turiner Sammlung in Teil I, Keramik-Marionetten aus dem südfranzösischen Aubagne in Teil II; während nun, in »The Secrets of Karbala«, dessen Titel sich auf jene Schlacht im siebten Jahrhundert im Zentralirak bezieht, die zur Trennung von Schiiten und Sunniten führte, filigrane Marionetten aus Murano-Glas auftreten. Sie wurden von Shawky afrikanischen Skulpturen nachempfunden.
Der erste (kürzere) Teil ist filmischer, farbiger, vitaler, räumlicher, auch lustiger (die alarmistische Brand-Rede von Papst Urban II. auf Arabisch zu hören, statt in gesetztem Lateinisch) und deutlich fantasievoller, was auch an der Vielfalt der prägnanten, geschnitzten Puppen-Physiognomien liegt, während die ziegenbärtigen Wiederkäuer-Gesichter aus Teil II dann doch nur begrenzte Wirkung haben. Die in ihrem Ausdruck zwischen Sanftmut und Tücke changierenden Halb- und Fabelwesen aus Mensch und Tier – häufig langhalsige, maulige Kamel- oder dickköpfige Katzen-Zwitter – sind deutlich als Artefakte definiert.
Natürlich haben sie auch die Rolle von Transformers, V-Effektlern und Garanten der Fiktionalisierung. Die gemalte Szenerie von Teil II sieht aus wie von Friedrich Hundertwasser entworfen oder, in ihren kubischen Häuser-Reihen, wie aufgeschnappt auf Macks Tunisreise oder importiert von Paul Klees »Roten und Weißen Kuppeln« oder seinem von Dresden entliehenen »Sonnengold«-Bild, die ein paar Schritte weiter in der Ausstellung über Max Slevogts und Klees ägyptische Reisen hängen; indes wurden sie, laut Shawky, historischen Stadtplänen nachempfunden. Die Dialoge, Rezitativ und Chorpassagen, stammen aus Epen wie dem Rolandslied, singsangend vorgetragen etwa von der Prinzessin Alice, Tochter des Balduin von Jerusalem, die gegen ihren Vater opponiert und von ihm gefangen gesetzt wird.
Es ist überhaupt eine nach Nummernfolge gereihte, von trommelnden Rhythmen begleitete, nur scheinbar naiv nachgestellte Chronik der Gewalttaten, tobender Aufstände, Brudermorde, Attentate, Intrigen, wechselnden Koalitionen und komplizierten Bündnisse und des Verrats. Viele Nächte der langen Messer. Viel böses Blut, das wallt und fließt zwischen Konstantinopel und Kairo, Mossul und Mekka, Damaskus und Bagdad, Aleppo und Jerusalem. Anders als das Gemetzel und kannibalische Massaker von Antiochia 1098 und von Jerusalem 1099 durch die Kreuzfahrer, lässt Zengi, Sieger der Schlacht von Edessa 1144, die Zivilbevölkerung am Leben. Was seine Ermordung nicht verhindert.
Shawky schafft mit einem Kunstgriff neue Bilder eines alten Krieges, dessen Eigenschaften sich auch projizieren lassen auf Konflikte der Gegenwart: »Was ist das für ein Gott, der für sich muß kämpfen lassen?«, heißt es im »Nathan«. Das hat Methode. In »Telematch Sadat« (2007) etwa ließ der Ägypter Kinder in der für sie typischen anarchischen Tollerei wie aus der Rappelkiste heraus die Militärparade in Kairo nachspielen, bei der Präsident Anwar as-Sadat 1981 vom Al-Dschihad ermordet wurde, und inszeniert ebenso sein Begräbnis.
Shawkys Gesamtkunstwerke, in denen er Idee und Regie, Bühnenbild, Musik und Licht verantwortet, unternehmen Zeitreisen zurück in die Zukunft. Schamanismus, magisches Denken, moderne Technologie, ideologiekritisches Bewusstsein und artifizielle Verspieltheit mischen sich darin.
»Cabaret Crusades« bis 4. Januar 2015. Kunstsammlung NRW, Grabbeplatz. www.kunstsammlung.de