Stimmen, Interviewschnipsel und Musik. Viel Musik – Punk, Rave, Hip-Hop. Im Folkwang Museum sind das nun keine Nebengeräusche. Es ist der überall unüberhörbare Soundtrack zur Keith-Haring-Ausstellung in Essen. Denn malen konnte der am besten, wenn die Anlage auf Hochtouren lief. In einem Rutsch füllte Keith Haring (1958-1990) dann aus freier Hand zum Teil riesige Flächen mit seinen leicht lesbaren Icons – den Hunden, Strichmännchen und krabbelnden Babys, den Fernsehgeräten und fliegenden Untertassen. Wollte man den Essener Klangteppich komplettieren, so sollten auch Autos zu hören sein, Menschen auf den Straßen von Manhattan, in den Clubs und im Untergrund. U-Bahnen, die über Schienen rauschen.
Mit 20 war der schmächtige Junge aus der Provinz hergezogen – und er muss wie berauscht gewesen sein von der brummenden Metropole. Wo er offen homosexuell leben und sich als Künstler verwirklichen konnte. All die Möglichkeiten, die sich Haring hier boten. Im Drunter und Drüber von Postern, Flyern, Fotos, von gefilmten Performances und selbstgestalteten Einladungszetteln zu diversen Events macht die Schau die Energie der Stadt zum Thema. »Es war der einzige Ort, an dem ich die Intensität finden konnte, die ich brauchte und wollte«, hat Haring einmal erklärt. »Ich wollte Intensität in meiner Kunst, und ich wollte Intensität in meinem Leben.«
Mitten drin im Leben
An den vorübergehend freien, schwarz überklebten Plakatwänden in der New Yorker U-Bahn entdeckt Haring 1980 den idealen Platz für seine Kunst – mitten drin im Leben und ganz nah dran am Zufalls-Publikum. Er wollte möglichst viele erreichen und in Austausch treten – über seine Kunst, die oft genug mit immer noch aktuellen gesellschaftlichen Themen umging: Umweltverschmutzung, Homophobie, Rassismus, Drogenmissbrauch…
Fünf Jahre lang war die Untergrund-Bahn ein beliebtes Betätigungsfeld. Hier produzierte Haring in ungeheurer Geschwindigkeit tausende seiner schlicht weißen Kreidezeichnungen – an guten Tagen bis zu 40. Auch diese flüchtige Episode kann die Schau mit einigen Beispielen belegen. Erst Harings wachsender Ruhm setzt dem Kapitel ein Ende. Denn immer seltener blieben die Kreidezeichnungen an Ort und Stelle. Oft dauerte es nur wenige Minuten, bis sie abmontiert und dem Kunstmarkt zugeführt wurden.
Einkaufen im »Pop-Shop«
Haring musste sich andere Bildträger suchen und fand etwa die Lastwagenplane. Die Kunstwelt applaudierte. 1982 holte die Documenta den Künstler nach Kassel, fünf Jahre darauf schuf er einen roten Hund für die Skulptur Projekte Münster, das Pappmodell hebt Essen in die Vitrine. Führt man sich im Folkwang Museum Harings Entwicklung vor Augen, so erscheint es durchaus konsequent, dass er mit den Jahren und dem Ruhm neue Verbreitungswege für seine Werke zu erschließen suchte. Sticker, T-Shirts, Poster, alles war ihm recht und ging im eigens eingerichteten »Pop-Shop« über den Ladentisch.
Haring war innerhalb von rund zehn Jahren vom Underground-Künstler zum Pop-Star aufgestiegen – und hatte in der seriösen Kunstwelt als solcher einen schweren Stand. Kann man krabbelnde Babys und fliegende Untertassen ernst nehmen? 30 Jahre nach Harings frühem AIDS-Tod ist es an der Zeit, noch einmal darüber nachzudenken. Und angesichts der allenthalben vorangetriebenen Demokratisierung im Kunstbetrieb vielleicht zu neuen, Haring-freundlicheren Urteilen zu gelangen. »Es gibt ein Publikum, das ignoriert wird, obwohl es nicht unbedingt aus Ignoranten besteht«, das stellte der Künstler einst fest. »Die Leute sind offen für die Kunst, wenn die Kunst offen für sie ist.«
BIS 29. NOVEMBER, MUSEUM FOLKWANG, ESSEN