Dreimal hat Emilia Galotti Zeit, sich der Musik zu überlassen. Bevor das Spiel um Liebe, Mord und Verführung als der »wahren Gewalt « beginnt, sitzt sie an der Rampe der ziemlich leeren Bühne im Kölner Schauspielhaus und lauscht dem Kassettenrecorder – der Prinz tritt an sie heran, so wie er sich ihr später nähert, wenn sie bereits durch Intrige des Kammerherrn Marinelli in seinen Händen auf dem Lustschloss zu Dosalo weilt. Aufs Ende aber kommt es an: Wieder wird der Recorder eingeschaltet – Vater Galotti (Dirk Lange) nimmt sein Kind in die Arme und wirbelt mit ihr in einen verzweifelt heftigen Totentanz, so dass der ihr versetzte Messerstich unsichtbar bleibt. Dann legt er die Leiche der Tochter zu der ihres erschossenen Verlobten Appiani und ruft den Prinzen als Blutzeugen heran. Der erscheint nicht mehr – anders als bei Lessing. Ganz so wie er auch 100 Minuten lang nicht da war, wenngleich in Gestalt des Schauspielers Sébastien Jacobi vorhanden. Eine einzige Leerstelle an diesem Abend.
Es treten auf: eine schlaffe Fürstenmacht als eine Art Vor-68er- Pennälerjugend, zwar auf Kniff gebügelt, ansonsten aber salopp unterspielend, wenn Lukas Holzhausen den Marinelli ohne Teufelei als bebrillten Famulus in Strick vorführt, der sich selbst nicht der Moral enthält, weil er in Parizeks krass geraffter Fassung noch die Rolle des ein Todesurteil ad acta legenden Rates Rota übernimmt. Die in ihrer Ruhe überlegene betrogene Orsina (Anja Lais), die hier endlich sein darf, was sie ist: eine Intellektuelle. Die »guten Eltern«, wobei Anja Herden das Schwankende in Claudia Galottis Gefühlshaltungen schön ausbalanciert. Schließlich Emilia, die eigentlich eine Gehandelte ist und nur im Finale zur Handelnden wird – eine Freiheit, die ihr Vanessa Stern reichlich gibt.
Dusan David Parizeks Inszenierung ist – nicht viel anders als Michael Thalheimers weltberühmte »Emilia« von 2001 am Deutschen Theater Berlin – eher ein Wurf, der den Manierismen und Marotten der Regisseure mehr verdankt als der schlüssigen Analyse des Stücks und der Psychologie seiner Figuren. Man tut besser, nicht genauer nachzufragen. Aber als Behauptung funktioniert die Aufführung, exekutiert sie doch das Trauerspiel radikal, das bei Lessing mit der Präzision eines Uhrwerks abläuft. AWI