Der Blick auf Theater, das im Stadtraum stattfindet, hat sich während der Corona-Zeit verändert. Zum einen war lange gar kein anderes Theater möglich. Zum anderen kommt das Publikum auch jetzt nur zögerlich zurück, der Hashtag in den Sozialen Medien dazu heißt #publikumsschwund. Die Bühnen in Bochum und Dortmund tun es trotzdem – oder gerade deswegen: Sie spielen zum Saisonabschluss draußen.
Die Dortmunder Schauspiel-Intendantin Julia Wissert liebt Visionen, Utopien, Gedankenspiele. Ihre Eröffnungsinszenierung an vielen Orten außerhalb des Theaters hieß »2170: Was wird die Stadt gewesen sein, in der wir leben werden?«. Die aktuelle Saison beschließt sie wieder mit einem (Gedanken-)Spiel im Stadtraum. Es heißt »105 mal 68« – das sind die Maße eines Fußballfeldes, innerhalb derer Schauspieler*innen und Anwohner*innen gesellschaftliche Regeln hinterfragen.
Mit Christiane Hütter hat das Schauspiel eine Regisseurin engagiert, die von sich sagt: »Ich bin Weltenbauerin. Ich analysiere, modelliere und verändere Systeme mit den Mitteln von Game Design, Narration und Kunst.« Mit vielen Bürger*innen der Stadt hat sie sich gefragt: Wie könnte eine Welt ohne Geld aussehen? Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, in der das Wichtigste gelingende Beziehungen sind? Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, in der Entspannung eine wichtige Rolle spielt?
Antworten gibt es an drei Orten in Dortmund und zwar vom 4. bis 12. Juni. Jeweils von 16 bis 20 Uhr können sie an allen acht Tagen eigenständig besucht werden. Am Platanenplatz im Fredenbaumpark eröffnet die erste queere Hochzeitskapelle des Ruhrgebiets die Reihe. Es wird dort Speeddating und Tanzkurse geben – aber man kann dort auch wirklich heiraten. Wer das tun möchte, meldet sich unter kimoeller@theaterdo.de. Am Rolandplatz nördlich des Fredenbaumparks entsteht mit den Aktiven von Pandora2.0 ein Utopiengarten mit Workshops zu Upcycling oder Pflanzen. Und am Hafen (am Speicher 100) finden Besucher*innen eine Spielwiese, bei der sich alles um das Thema Gemeinwohl und die richtige Balance dreht.
Der Chor der Zugewanderten
Weniger interaktiv, aber trotzdem mit großer Bürger*innen-Beteiligung wird das Draußen-Projekt des Schauspielhauses Bochum: Regisseurin Liesbeth Coltof, die eigentlich eine der bekanntesten Vertreterinnen des Kinder- und Jugendtheaters in den Niederlanden ist und in Bochum schon »Die unendliche Geschichte« inszenierte, hat mit Mitgliedern des Ensembles, Menschen aus Bochum und einer Live-Band – insgesamt sind es über 30 Mitwirkende – ein Auftragswerk des Autors Akın Emanuel Şipal einstudiert. Es findet auf dem Theatervorplatz vor einer 400 Zuschauer*innen fassenden Tribüne statt.
Şipal hat Bochumer*innen mit polnischem oder türkischem Hintergrund interviewt und daraus ein vielstimmiges Stück über die Hoffnung und die Sehnsucht gestrickt. Es geht um Halil, der eigentlich sterben und Minka, die unbedingt leben will. Sie möchte in das Dorf ziehen, aus dem ihre Mutter kommt. Halil ist einmal zurückgegangen – und dann wiedergekommen. Auf dem Platz vor dem Schauspielhaus Bochum treffen sie aufeinander, erzählen ihre Geschichte, und ein Chor der Zugewanderten bringt weitere Perspektiven hinein.
Schauspiel Dortmund, »105 mal 68«:
4. bis 12. Juni, täglich 16 bis 20 Uhr, theaterdo.de
Schauspielhaus Bochum, »Hoffen und Sehnen«:
18. bis 26. Juni tägliche Vorstellungen (außer Montag), schauspielhausbochum.de