TEXT MARKUS WECKESSER
Die frommen Wanderer überschütten ihre Götter mit Rosenblüten, mit dem eigenen Kopfhaar und immer mit ihrer Verehrung: Das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum zeigt eine eindrucksvolle Ausstellung über das Pilgern.
Als Hape Kerkeling im Jahr 2006 sein etwas anderes Reisebuch »Ich bin dann mal weg« veröffentlichte, rechnete niemand mit einem solchen Erfolg. Über Wochen stand der Erlebnisbericht einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela auf den Bestsellerlisten. Der Titel wurde zum geflügelten Wort – und pilgern wieder gesellschaftsfähig. Denn auf Vergebung der Sünden, wie noch im Mittelalter, hofft heute wohl kaum ein Pilger. Stattdessen geht es eher um Formen der Selbsterfahrung oder um das gemeinschaftliche Erlebnis.
Die große Sonderausstellung »Pilgern. Sehnsucht nach Glück?« im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum verspricht nicht zu viel, wenn sie mehr als eine Antwort auf die Frage bietet, weshalb Menschen sich auf den Weg machen. Anhand von 14 mal mehr, mal weniger bekannten Pilgerorten, die von Gläubigen unterschiedlicher Religionen angesteuert werden, erhält der Besucher Einsichten in internationale Pilgerpraktiken. Das Besondere: Jeder Raum wird anders präsentiert und inszeniert, jedes Ziel verschieden aufgearbeitet – anschaulich, anregend und unterhaltsam.
Den Auftakt macht, wie auch sonst: das fromme Köln selbst – seit die Gebeine der Heiligen Drei Könige 1164 in die Stadt überführt worden sind, eines der beliebtesten Ziele christlicher Wallfahrt. Den Gläubigen verdankte Köln auch seinen Reichtum. Entlang der Pilgerrouten entwickelten sich Handelswege, die Waren und Wissen verbreiteten. Eine nachvollziehbare These der Ausstellung lautet daher, dass manche Pilgerorte nur deshalb in abgelegenen Gegenden entstanden, um diese wirtschaftlich zu fördern.
Neben ökonomischen helfen auch machtpolitische Erwägungen beim Ausbau von Pilgerorten. In Sinakara/Peru etwa verehrte man bereits zu Inka-Zeiten eine regionale Berggottheit. Das behagte den spanischen Eroberern nicht, so gründete sich im Zuge der christlichen Missionierung die Legende eines Christus-Felsbildes. Die Pilger indes eigneten sich das Idol an und erfanden einen Rituale-Mix aus diversen Glaubens-Überzeugungen. Viele der Pilger sind als farbenreiche Pablucha (Hüter des Gletschers) gekleidet und erklimmen tanzend das Gebirgsmassiv. Kostüme und Opfergaben wie Süßigkeiten und Lebensmittel veranschaulichen das.
Eine Wand mit recht kitschigen Souvenirs bestimmt hier die Atmosphäre in Mexiko-Stadt. Auf dem Tepeyac-Hügel wird das Abbild der Heiligen Jungfrau von Guadelupe, der Nationalheiligen, verehrt. Ihr Bildnis schmückt alles, was bedruckbar und verkäuflich ist: Andachtsbildchen, T-Shirts, Kalender, CDs, Taschen, Figuren, Kerzen. An vier Tagen im Dezember kommen bis zu acht Millionen Menschen zur Basilika auf dem Tepeyac. Um den Massenandrang zu bewältigen, werden die Gläubigen auf vier Laufbändern an dem Marienbild vorbeigefahren. Darunter auch Nicht-Christen, die schlicht aus nationaler Verbundenheit mitmachen.
Im äthiopischen Lalibela ziehen elf in ein Felsplateau aus Vulkanbasalt gehauene Kirchen jährlich 180.000 Menschen an. Mehr als die Hälfte kommt aus Anlass des äthiopisch-orthodoxen Weihnachtsfests, an dem man parallel Jesu Geburt und die des Königs Lalibela feiert. Forschungen besagen, dass der Bau der imposanten Gotteshäuser mehr als 600 Jahre beanspruchte. Das gewaltige Ausmaß demonstrieren animierte 3D-Modelle.
Eines der in Afrika gebräuchlichen Utensile wäre universal einsetzbar: winzige Ohrlöffelchen aus Metall. Mit ihnen reinigt man sich die Ohren, um das Wort Gottes besser zu verstehen. Dass die meisten Ankömmlinge in Lalibela Frauen sind, hat seinen Grund: Das Pilgern ist für sie oft die einzige Möglichkeit, ohne männliche Begleitung zu reisen.
Pilgern verändert nicht nur Menschen, sondern auch Städte. Ein Aspekt dabei sind Konflikte und Probleme etwa um die mit den Pilgerströmen einhergehende Umweltverschmutzung. Lalibela ließ Wohnhäuser in der Nähe der Kirchen abreißen, um Platz für die touristische Infrastruktur zu schaffen. Aus dem gleichen Motiv mussten Bauten an der Jerusalemer Klagemauer weichen: palästinensische Häuser, was die Lage weiter verschärft haben dürfte. Wo doch Jerusalem mit Altstadt, Tempelberg und vielen Stätten mehr von den drei monotheistischen Religionen gleichermaßen beansprucht wird: Angebetet, verehrt und verteidigt wird das Relikt des Jüdischen Tempels, in dem das Allerheiligste stand, die Bundeslade; werden der Sterbe-, Auferstehungs- und Himmelfahrtsort Christi; wird die Stelle, von der aus der Prophet Mohammed in den Himmel ritt.
Zuweilen nimmt die Opferbereitschaft der Pilger kuriose Züge an. In Touba werden während der Pilgerfahrt der Mouriden so viele Münzen gespendet, dass sich das Kleingeld im Senegal verknappt. Im indischen Ajmer geben Anhänger des Chistiyya-Ordens täglich 1800 Kilogramm Rosenblüten – weshalb es in diesem Museums-Saal wunderbar blumig duftet. Im indischen Tirumala lassen Tag um Tag 15.000 Pilger ihr Kopfhaar zurück, durch dessen Verkauf sich der hinduistische Betrieb finanziert. (In Köln kosten bei Perückenmachern 500 Gramm Haare 325 Euro.)
Die Orte der – je nach Wahrnehmung religiöser oder irrationaler – Verehrung müssen enorme logistische Herausforderungen bestehen, die Reisenden gelenkt, verköstigt, versorgt werden. In Mekka ballt sich der Zug von drei Millionen Menschen, die der Haddsch folgen, besonders in dem einen Pilgermonat. Um Unfälle und Massenpanik zu vermeiden, dürfen sich ihre Wege nicht kreuzen. Noch mehr Leute kommen alle zwölf Jahre beim indischen Kumbh-Mela-Fest zusammen: An 55 Tagen waren es 2013 geschätzt 120 Millionen. Da dürfte es auf der Strecke nach Santiago de Compostela vergleichsweise ruhig zugehen.
RAUTENSTRAUCH-JOEST-MUSEUM, KÖLN,
BIS 9. APRIL 2017, TEL.: 0221/22131356