Zum Gespräch treffen wir uns am Feiertag im Grugapark. Ein guter Ort, um neben der Arbeit noch Volleyball oder Karten zu spielen und Pommes zu essen. Denn Fabian Sattler, Till Beckmann und Jennifer Ewert drei gehören nicht nur zum vierköpfigen Team des Maschinenhaus Essen – sie haben auch Kinder und noch einige andere Jobs. Leidenschaftlich engagierte Multiplayer sind sie, genau das, was ein experimenteller Kunstort mit Standort im strukturschwachen Teil der Stadt braucht.
Fabian Sattler war Schauspielstudent an der Folkwang Universität im Essener Süden, als er das Maschinenhaus im Norden der Stadt als »schönsten Ort« kennenlernte. Er wusste, dort wollte er als Regisseur arbeiten. 2009 inszenierte er zum erst Mal hier. »Da war sonst nicht viel los, außer ein paar Hochzeiten«, erinnert er sich. Einige künstlerische Projekte gab es in den Jahren zuvor, die Ruhrtriennale nutzte es als Spielort. 2011 wurde Sattler gefragt, ob er mit im Vorstand arbeiten wolle. Seit dem Generationenwechsel 2012 ist nun einiges passiert im denkmalgeschützten Backsteinbau in Altenessen, der zur 1970 stillgelegten Schachtanlage Carl gehört. Das Maschinenhaus beherbergte damals die Dampfmaschine, die den Förderkorb bewegt. Heute ermöglichen eine Tribüne und die notwendige Technik Theater- und Tanzinszenierungen. Der neue Vorstand besann sich auf die Gründungsidee von 1985, die den Ort als Arbeitsstudio und zur Begegnung von Künstler*innen und Publikum definierte.
Seit 2022 gehören nun neben Fabian Sattler und Annette Pfisterer auch Till Beckmann und Jennifer Ewert zum Leitungsteam. »Theater der kommenden Generationen« ist das Maschinenhaus jetzt betitelt, kulturelle Bildung ist neuer Arbeitsschwerpunkt des Hauses. In der Selbstbeschreibung ist das Maschinenhaus »die Bühne für professionelles Theater für junges Publikum in Essen«, die Zusammenarbeit von Künstler*innen und jungen Menschen auf Augenhöhe ist Konzept. Kunstproduktion mehr vom Publikum aus zu denken, das ist ihr Ansatz. Denn mit einem Publikum verbunden zu sein, funktioniere nur, wenn das Publikum immer mitgedacht werde, erklärt Fabian Sattler. Und das meint auch schon mal: Bewegung. Im Maschinenhaus gibt es einen Kicker, draußen auf dem Gelände einen Basketballkorb. »Da powern sich die Kinder aus«, erzählt Jennifer Ewert, vor und nach den Vorstellungen. Auch das schafft Verbindungen.
Nähe zum Publikum gibt es im Maschinenhaus auch rein räumlich. Wenn die Künstler*innen auf die Bühne gehen, müssen sie aus der Garderobe heraus an den wartenden Zuschauenden vorbei. Eine Hinterbühne gibt es nicht. Fürs Miteinander steht das Leitungsteam dann auch selbst hinter der Theke und schmiert Schnittchen. Geld für weiteres Personal gibt es allenfalls projektbezogen – wie jetzt beim Westwind Festival, dem Theatertreffen für junges Publikum in NRW, bei dem das Maschinenhaus in diesem Jahr Gastgeber ist. Es ist eins der »Ankerprojekte« des Hauses, wie Fabian Sattler sagt. Genauso wie das Sommer.Kunst.Camp »Future City«, bei dem im vergangenen Jahr 110 junge Menschen auf dem Außengelände bauten, malten, gärtnerten, tanzten und rappten. Oder die aktuelle Zusammenarbeit mit vier Essener Grundschulen aus dem Norden und aus dem Süden unter dem Thema »Be Real«. Da inszenieren die Schulen vier eigene Arbeiten und stehen am Ende auch gemeinsam auf der Bühne. Es gebe Jugendliche aus dem Süden der Stadt, die noch nie in Altenessen waren, sagt Sattler. Stadtteilarbeit, die Einladung zum gemeinsamen Spielen und Gestalten und neue Zugänge zu performativen Arbeiten zu schaffen – auch das sind ihre Anliegen.
Das Maschinenhaus will raus aus der Kunstblase. Und Till Beckmann benennt die Chancen so: »Wo gibt es mitten in der Stadt so eine tolle Freifläche, so ein tolles Haus?«. Aber wie wenig das Gelände entwickelt würde, das frustriert die drei. Beckmann spricht von »Fantasielosigkeit«. Im April gab es einen Brandanschlag auf ihren Kultur-Kiosk, einen freistehenden Container auf dem Gelände, den auch Kinder und Jugendliche mit aufgebaut, bemalt und bepflanzt hatten. Sie hätten vor solchen Taten gewarnt, mit Vandalismus hätten sie schon länger zu kämpfen gehabt. Glücklich sind sie allerdings über die enorme Unterstützung aus der Bevölkerung, über Hilfsangebote und Spenden auch aus den Nachbarstädten.
Ein eigenes künstlerisches Budget hat das Maschinenhaus nicht. Die 90.000 Euro städtische Förderung werde für Verwaltung und Technik verwendet – ein denkmalgeschütztes Haus bringt Kosten mit sich. Mit Projektförderungen hangeln sie sich von Projekt zu Projekt, zeigen Arbeiten von freien Gruppen wie »Sterna |Pau« aus Bochum oder dem »echtzeit-theater« aus Münster. Aber gerade für junge Menschen so wünschenswerte Folgeangebote sind nicht immer möglich. Alle im Team arbeiten noch anderweitig – Fabian Sattler als Regisseur und Schauspieler mit seinem freien Ensemble »TOBOSO«, das erfolgreich Theaterinszenierungen für junges Publikum entwickelt, Annette Pfisterer als Grafikerin und Dramaturgin, Till Beckmann als freier Schauspieler und im Künstlerkollektiv »Spielkinder« mit seinen Geschwistern Lina, Maja und Nils, und Jennifer Ewert ebenfalls als »Spielkind« und als Schauspielerin unter anderem am Herner Theater Kohlenpott. Es sind nicht die finanziellen Möglichkeiten, die die vier ans Maschinenhaus binden. »Der Ort gibt mir etwas anderes«, sagt Sattler und die anderen beiden nicken. Künstlerischen Freiraum zum Beispiel, wenn sie selbst inszenieren und spielen am Maschinenhaus. »Wo darf man denn sonst schon ein Lagerfeuer machen während der Performance«, meint Beckmann.
10.200 Minuten Zeit fürs gemeinsame Kunst-(Er)Leben nehmen sie sich jetzt im Juni beim Westwind Festival, das sie – als relativ kleiner Festival-Ausrichter – zusammen mit PACT Zollverein und dem Schauspiel Essen auf die Beine stellen. Aus 49 gesichteten Kinder- und Jugendtheater-Formaten hat die Jury zehn besonders bemerkenswerte ausgewählt. Außerdem gibt es internationale Gastspiele, einen Thementag unter dem Motto »Too Much«, Workshops wie Yoga, Bühnenkampf und Veranstaltungstechnik, Konzerte, Partys – und natürlich ein Lagerfeuer.
Westwind Festival
1. bis 8. Juni
Maschinenhaus Essen, PACT Zollverein, Schauspiel Essen
Sommer.Kunst.Camp »Futur City«
8. bis 14. Juli