Mowgli,
das verlorene Menschenkind, wird von Mama und Papa Wolf aufgezogen, vom
tapsigen Bär Baloo, dem schwarzen Panther und der Schlange Kaa behütet und
unterwiesen, von äffischer Anarchie gezaust und vom Tiger bedroht. Der Knabe
gehört zu den Naturwesen, die quer zur Zivilisation stehen. Ein anderer Kaspar
Hauser, ein muskelschwacher Tarzan. Niemals Tier und den Menschen entfremdet,
wird er zum King of the Jungle. Dafür muss unser Fortschrittsschrott von
ausrangierten Fernsehgeräten, wie eine Installation von Nam June Paik, gehäuft
auf der Bühne landen.
Tiere tauschen Fell gegen Frack
In
Robert Wilsons Manegerie, aufgezäumt im Düsseldorfer Schauspielhaus, bewegen
sich hochgezüchtete Großstadtpflanzen. Natur wird Kultur – zum Asphaltdschungel
aus stilisiert lanzettförmigem Blattwerk. Für den urbanen Parcours tauschen die
Tiere Fell gegen Frack, Couture und Coiffure. Wilson zeigt Dressurakte in
Color: ein unelefantöses Dickhäuter-Mädchen (Rosa Enskat), eine
scherenschnittschmale Hyäne wie aus Existentialisten-Kellern, wölfisch-flippige
Broadway-People und eine Boa tragende Kabuki-Kaa. Einen Spaßbär-Clown, dessen
breiter Steifftier-Humor in Georgios Tsivanoglous großem Kostüm-Karo festsitzt,
und einen gangsterhaft coolen Tiger Yellow-Brown (Sebastian Tessenow) wie aus
den Straßenschluchten von Manhattan.
Im Prolog der leichtgewichtigen Songbook-Revue (die Musik der Schwestern CocoRosie mischt geschmeidig Jazz, Blues, soften Rock, smarten Pop, Folklore, Klezmer, Kinderklassik, Tingeltangel und Kurt-Weill-Takte) erzählt Bagheera, dass der Dschungel ihm Zuflucht bot vor den Menschen. Ein Freiraum für Outcasts, wo Black Panther André Kaczmarczyk zur Aristocat und Black Velvet Underground- und Showbiz-Erscheinung wird. Freiheit – ihrem Wesen nach ambivalent und auf der zur Einsamkeit sich hinneigenden Seite eingedunkelt – ist das, was sie alle vereint: Mowgli, Bagheera, Shere Khan und die Übrigen. Aber diese Vorstellung muss man sich eher denken, als dass der Abend aus Bob Wilsons Factory des schönen Stillstands sie einem eröffnet.
19., 20., 28. und 29. November, Schauspielhaus, www.dhaus.de