Die Faszination und die Lust am Umgang mit vieldeutigen, symbolisch aufgeladenen Bildern charakterisiert die heutige Kunst. Während in den großen Ausstellungen und Manifestationen der Kunstwelt zu Beginn der 90er Jahre noch künstlerische Entwürfe dominierten, die Sozial- und Politdiskurse aufgriffen, werden mit der Zuwendung zu neuen Formen erzählerischer Imagination sowohl Bereiche wie Märchen, Sagen, Mythen, Religion, als auch die Welt von Science-Fiction und Fantasy zu einem aktuellen Reservoir für die postmoderne Bildproduktion.
Im Kontext dieser Entwicklung geraten auch insbesondere die beiden zentralen anti-naturalistischen Diskurse des 19. Jahrhunderts, Romantik und Symbolismus, ins Blickfeld. Als Inspirationsquellen und historische Bezugsgrößen haben beide für die heutige künstlerische Produktion einen großen Stellenwert. Der historische Symbolismus, der im 18. Jahrhundert in Positionen wie Johann-Heinrich Füssli und William Blake bereits mächtige Vorläufer hatte, entstand als gesamteuropäische Bewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert. Unter seinem ausgeprägt antinaturalistischen Vorzeichen fallen jene künstlerischen Strömungen zusammen, die die Bereiche des Irrationalen, Abgründigen und Phantastischen, sowie des Spirituellen/Religiösen betonen.
Wenn sich auch gerade die historisch-komplexen Bedeutungsgehalte der Begriffe »Symbol« und »Symbolismus« anbieten, um sich jenen Entgrenzungs- und Überschreitungserlebnissen zu nähern, die auch in der heutigen Kunst angestrebt werden, so steht doch am Anfang die Feststellung, dass sich die jahrhundertealte Begriffsgeschichte des Symbolbegriffes in ihren Wandlungen und Ausrichtungen äußerst komplex und facettenreich darstellt. Auch der Begriff des Symbolismus als »Stilrichtung« ist durchaus nicht unproblematisch. Aber in der Quintessenz wird seit den ersten antiken Begriffsbestimmungen im Zusammenhang früher Mysterienkulte mit »Symbolen« etwas Geheimnisvolles, Unauslotbares verbunden. Zum Charakter einer symbolischen Bildersprache gehörte es seit jeher, dass das, was zu sehen ist, nicht nur auf eine einzige Weise aufgefasst werden kann. Vielmehr lassen ineinander greifende Deutungsmöglichkeiten einen eigentlichen, genau bestimmbaren Sinn nicht zu. Die Mehrdeutigkeit der geistigen Zusammenhänge, auf die ein Symbol verweist, macht den Charakter des Symbolischen aus.
Sehr anschaulich wird diese Evokation einer geheimnisvollen Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit der Symbole in jener berühmt gewordenen Aussage des Dichters Stephane Mallarmé: »…Ich dagegen meine, dass es nur auf die Anspielung ankommt … Ein Ding nennen, heißt, drei Viertel des Genusses am Gedicht wegstreichen, der darin besteht, nach und nach zu erraten: es anzudeuten, ist der Traum.«
In einer Ausstellung wie unserer, die in gezielter Weise Werke des Symbolismus und ausgewählte Positionen zeitgenössischer Kunst gegenüberstellt, also Konzeptionen, zwischen denen sich der Zeitraum (Gabriela Fridriksdòttir). Auch Misch- und Fabelwesen wie Sphinxe, Einhörner usw. (Inka Essenhigh), sowie Heiligenfiguren und religiöse Zeichen (Martin Assig) tauchen immer wieder auf. Diese werden heute auf vielfältige Weise verwandelt und gebrochen oder auch nur aus der Distanz zitathaft, als rhetorisches Material oder entleerte Formeln gebraucht.
So integriert Inka Essenhigh in ihre Bildwelten mythologische Figuren wie Pane, Nixen, Einhörner oder Pegasusse und nutzt dieses für den Symbolismus typische Vokabular für ihre Bildsprache, welche gleichermaßen auf Pop- und Comicelemente, zeitgenössisches Design und historische Quellen wie persische Miniaturen oder japanische Holzschnittkunst zurückgreift. Auch Ena Swansea Bild »Bee Rider« (2005) arbeitet mit einer unwirklichen Atmosphäre, in der realistische Abbildung und Verfremdung eine sehr organische Verbindung eingehen. Frauenkörper und Biene verschmelzen zu einer Art Mischwesen, da die Biene Menschenbeine und Menschenarme hat. Der Titel »Bee Rider« transportiert Ironie, die Darstellung ist unheimlich, schräg und witzig zugleich. Mit ironischer Distanz geht es auch bei Glenn Brown um Bilder von Entgrenzungserlebnissen und dem Übergang in andere Welten. Diese ruft er durch ein raffiniertes, komplexes Spiel mit kunstgeschichtlichen Zitaten und mit der inszenierten geheimnisvollen Stimmung von Urzeitvisionen und Schöpfungsmythen auf und übersetzt sie in seine zeitgenössische Bildsprache. Alle malerischen Strukturen erscheinen wie fotografisch reproduziert oder simuliert.
Der Symbolismus spielte mit pathetisch-theatralischer Umformung historischer Bildwelten, häufig mit antikisierenden oder christlichmittelalterlichen Stil-Anleihen, ebenso wie mit einem provokativem Antiakademismus durch eine raffinierte Erotisierung der gesamten Darstellungsmittel (z.B. bei Stuck oder Böcklin). Die »Amalgamisierung« unterschiedlicher Bild und Formansprachen von der Renaissance, Romantik bis zum Japonismus seiner Zeit erweckte damals wie heute eine Faszination des Hybriden, wie sie sich uns heute auch in den auf den ersten Blick manchmal überladen oder schwülstig erscheinenden Bildern des beginnenden 21. Jahrhunderts zeigt. Der Sprache der Sehnsüchte, der Mitteilungen seelischer Erlebniswelten oder verinnerlichter Religiosität der Symbolisten stellen sich heute eher Bildkonzepte entgegen, die sich aus der Pop-Art herleiten, wie z.B. inszenierter Eskapismus und »Blow-Up«-Effekte.
Alle zeitgenössischen Künstler unserer Ausstellung arbeiten auf jeweils individuelle Weise mit Strategien der Verrätselung und Evozierung geheimnisvoller, unerklärlicher Stimmungen. Sie setzen symbolhafte Bildelemente ein, die unbestimmt bleiben, d.h. diese sind frei assoziiert und scheinen eher in der komplexen Vermischung von historischen Anspielungen und zeitgenössischen kulturellen Codes der Trash-, Fantasy- oder Kinokultur zu oszillieren.
Der Text ist ein gekürzter und leicht veränderter Essay aus dem Katalog zur Ausstellung: »Das deutungsreiche Spiel. Der Symbolismus und die Kunst der Gegenwart«; Von der Heydt-Museum Wuppertal, 24. Juni bis 30. September 2007; Tel.: 0202/563-6231; www.von-der-heydt-museum.de