// Es war schlimme Infamie, mit der im Jahre 2004 in Hagen Front gemacht wurde gegen den Plan eines Museums für den größten Sohn der Stadt, den fünf Jahre zuvor verstorbenen, international renommierten Maler Emil Schumacher. Die Front rekrutierte sich aus der örtlichen Westfalenpost, einer populistischen Bürgerinitiative sowie der Hagener SPD. Die Munition, mit der sie schoss, war billige Aversion gegen Kunst, zumal gegen eine, die, wie die Schumachers, ja nur aus Farbklecksen besteht. Für so was Geld ausgeben? Der damalige SPD-Kandidat fürs Oberbürgermeisteramt, Peter Demnitz, stellte die Alternative Kunst oder Kindergarten und brach damit ein Tabu unter demokratischen Parteien. Es kam zum Schlimmsten: Am 31. August 2004 widerrief die Emil Schumacher Stiftung ihr Angebot, der Stadt hunderte von Werken des Malers dauerhaft zur Verfügung zu stellen und sich am Museumsbau zu beteiligen. Peter Demnitz wird sich gefreut haben.
Fast auf den Tag genau fünf Jahre später freut sich Demnitz erneut. Inzwischen ist er geworden, was er werden wollte: Hagens OB. Hat, was ein guter Politiker mit Leichtigkeit tut: seinen Sinn gewandelt. Und darf nun Ende August gemeinsam mit dem NRW-Minister- sowie dem Bundestagspräsidenten den neuen Stolz seiner Stadt eröffnen: Hagens »Kunstquartier«. Denn ganz wider Erwarten ist in der Industriestadt an der Volme alles gut geworden. Eine Mischung aus Drohung und Besänftigung ließ die Hagener Front zerbröckeln: Erstere kam aus Düsseldorf, wo die Landesregierung (damals SPD/Grüne) schon seit Johannes Raus Zeiten das Schumacher-Museum erklärtermaßen wollte; letztere erwuchs in der Hagener Bürgerschaft, wo ein Förderverein im Stillen deeskalierte. Demnitz zog nach Canossa, zum Haus Ulrich Schumachers, Sohn des Malers und Vorstand der Schumacher-Stiftung, um sich zu entschuldigen. Der Rat der Stadt sagte ja, die Landesregierung gab das versprochene Geld, die örtliche Sparkasse griff besänftigend in ihre Kasse, der Grundstein wurde gelegt. Es wiederholte sich nicht, was immer noch als tiefe Wunde in Hagens Geschichte brennt: der Verkauf der legendären Sammlung Folkwang 1922 an die Stadt Essen, weil die Hagener nach dem Tod des Kunstmäzens Karl Ernst Osthaus kein Interesse an dessen wegweisender Moderne-Kollektion zeigten.
Nun wird gefeiert. Und zwar mehr als nur ein Neubau, sondern in der Tat die Geburt eines neuen kulturellen Zentrums in der Hagener Innenstadt. Durch kluge, unaufdringliche Maßnahmen hat das Mannheimer Büro Lindemann Architekten es geschafft, den neogotisch-jugendstilistischen Bau des Osthaus-Museums (Carl Gérard/Henry van de Velde, 1898/1900), das klassizistische Verwaltungsgebäude (Carl-Ferdinand Busse, ein Schinkel-Schüler, 1866), den äußerlich betonbrutalen Museums-Anbau von 1972 (van der Minde) sowie eben den Neubau des Schumacher-Museums trotz aller stilistischen Divergenz zu einem Ensemble zu verbinden, das man sofort als solches erlebt. Und in das sich die dicht benachbarte neogotische Marienkirche wie von selbst einfügt.
Während das Osthaus-Museum und sein Verwaltungsbau in der Straßenflucht liegen, ist das Schumacher Museum in Parallelreihe dahinter entstanden; dem Querriegel des 1972er-Anbaus wurde ein Verwaltungs-Neu- bau gegenüber gestellt, so dass ein zur Straße hin offener Innenhof erwachsen ist, dessen Zentrum eine mächtige Platane bildet; Gastronomie macht den Platz wohnlich. Unmittelbarer Ort der Verbindung der beiden Museen ist das Eingangsfoyer, das beide Baukomplexe koppelt (und den historischen Eingang des Osthaus-Museums ablöst). Es besteht aus einem in knapp zehn Metern Höhe auf acht filigranen schwarzen Säulen schwebenden Baldachin; vorn und hinten ist die Halle in ganzer Höhe mit Glas abgeschlossen. Diese Glasfassade setzt sich fort und hüllt einen fensterlosen, dreigeschossigen Kubus aus Sichtbeton ein: das Schumacher Museums. Eine Geothermie-Anlage lässt ihre Flüssigkeit in der Glashülle zirkulieren, so dass im Innern ein konstantes Raumklima herrscht.
Von außen wirkt das neue Museum zart, verletzbar, durch seine Zweischaligkeit in seinem Volumen nicht ganz fassbar. Innen aber ergibt sich ein Moment des Monumentalen, sobald man am Fuß der großen Treppe steht, die vom (ebenerdigen) Parterre ohne Richtungswechsel ins zweite Obergeschoss führt – ein Eindruck ähnlich wie in Peter Zumthors Kolumba-Museum in Köln, nur dass man hier beim Hinaufsteigen hinausblickt. Von diesem fast sakral wirkenden Aufstieg geht in jedem Stock eine Türe ins Kubus-Innere ab: Dort erwarten den Besucher zwei sich über die gesamte Grundfläche erstreckende Ausstellungsräume, je 550 Quadratmeter groß, mit (teils künstlichem) Oberlicht und durch mobile Stellwände unterteilt. Im Erdgeschoss allerdings wird der Besucher zunächst in einen kleinen Raum geleitet, in dem ein Teil von Emil Schumachers Atelier aufgebaut ist – dem Atelier auf der Hagener Bleichstraße, in dem der Maler zeitlebens arbeitete. Nun steht in einem weißen, kühl wirkenden Gelass auf verkleckstem Linoleumboden die Staffelei, auf der die Tropfen von 60 Jahren expressiver Malerei armdicke Skulpturen gebildet haben, lagern in Säcken die Pigmente, in Blecheimern die Farben Emil Schumachers.
Schumachers Bilder – entstanden in Malprozessen, die jede Art körperlicher Bewegung einschloss – warten in den Stockwerken darüber. Zu sehen sind etwa 200 Werke aller Techniken und Schaffensphasen, angefangen von frühen, noch ganz akademischen, ganz gegenständlichen Versuchen über die ersten Schritte in die Abstraktion Ende der 1940er Jahre bis hin zu den großen, letzten Arbeiten in Lack auf Aluminiumblech. Insgesamt besitzt die Emil Schumacher Stiftung 88 Ölgemälde, 200 Gouachen, ein Blatt jeder Grafik sowie viele Keramiken des großen Informellen oder – wie das Museum es lieber sieht – des abstrakten Expressionisten aus Hagen; mit einer kleinen Lücke in den 50er Jahren. Die jetzige Hängung, für die Ulrich Schumacher verantwortlich ist, ist allerdings keineswegs chronologisch, sondern spürt thematischen Zusammenhängen nach, stellt immer wieder überraschende Blickachsen her, rhythmisiert durch die Kombination von wenigen großen und mehreren kleinen Formaten. »Material als Motiv« nennt sich die derzeitige Konstellation, die mehr als deutlich machen kann, wie Schumacher in nicht nachlassender Gestaltungslust Farbe zu Stoff werden ließ, das gestische Abbild als Zeichen einsetzte, gleich welches Material in den Fluss des Malerischen einschmolz. Wie er Ereignisse schuf, die wie Vexierbilder zwischen Figuration und Abstraktion beinah schelmisch changieren.
So viel Schumacher auf einmal hat man bislang natürlich noch nie gesehen; so viel wirkt erregend fast bis zur Erschöpfung; so viel vom Selben birgt die Gefahr der Monotonie. Das weiß die Schumacher Stiftung, ist sich jedoch intern uneins darüber, wie stark die Rolle künftiger Wechselausstellungen in ihrem monografischen Museum sein soll. Ausstellungsleiter Alexander Klar möchte am liebsten eine Serie der Vor- und Nachgeschichte expressiver Malerei auflegen, träumt gar von der Gegenüberstellung Schumacher-Pollock, die in der Tat faszinierend wäre. Schumacher jun. – der übrigens bis 2003 Direktor des Museums Quadrat Bottrop war – sähe wohl lieber die Präsentation der Werke seines Vaters für längere Zeit unberührt. Auch ist noch nicht ausgefochten, welchen Teil der Schumacher-Schau die erste Wechselausstellung im Februar 2010, die »Abstraktion nach 1945« zeigen soll, verdrängen wird, denn ein besonderer Raum dafür existiert ja nicht. Fest steht: Das Schumacher-Museum, jetzt schon ein Schrein, darf kein Mausoleum werden.
Eine schweres Blei am Flügel aller Träume ist die Geldknappheit beider Häuser. Die Stadt Hagen unterhält den Betrieb des Schumacher Museums (und hat von den Gesamterstellungskosten des »Kunstquartiers« in Höhe von 25,5 Millionen Euro 6,3 Millionen bezahlt – das Land 13,2; die Stiftung 4,2; die Sparkasse 2,5 Millionen). Ihre Aktivitäten aber hat die Stiftung selbst zu finanzieren, die einen Ausstellungsetat bislang nicht kennt. Und so wie Alexander Klar von Pollock träumt, so träumt Tayfun Belgin von der Fortführung der Sammlungstätigkeit Karl Ernst Osthaus’ und von der großen Expressionisten-Schau. Belgin ist seit 2007 Direktor des Osthaus Museums und, als gebürtiger Türke, sicher der erste Direktor eines deutschen Kunstmuseums mit diesem »Hintergrund«. Seine Museumsarbeit – Sammeln wie Zeigen – finanziert prinzipiell die Stadt; die aber hat, als Kommune in der Haushaltssicherung, zugenähte Taschen. Knapp 40.000 Euro hat Belgin dieses Jahr zur Verfügung; für 2010 hofft er aufs Dreifache sowie auf die Gaben seines Fördervereins. Für das Kulturhauptstadtjahr ist eine Ausstellung des Vexiergrafikers M.C. Escher sowie des Vexierglasers Adolf Luther geplant – populäre Kost und wohl als Versuch zu werten, das Osthaus aus der esoterischen Ecke herauszuholen, in der es unter seinem vormaligen Leiter Michael Fehr gedämmert hatte.
Aus der Schmuddelecke ist es schon mal heraus. Machte das Museum in den letzten Jahren den Eindruck einer düsteren Rumpelkammer, so wirkt es jetzt geradezu verwandelt. Lindemann Architekten haben den polygonalen 70er-Jahre-Anbau durch kleine Eingriffe und neue Holzböden heller, weiter, luftiger gemacht – ja regelrecht seine Raumqualität erst freigelegt. Frühere Büroräume sind zu Kabinetten geworden, in denen sehr gut etwa Grafik gezeigt werden kann. Und durch Aufstocken eines Teils des Anbaus ist dem Haus ein neuer White Cube zugewachsen (der leider von außen wie ein Schuhkarton wirkt). Derzeit ist der ganze neue Teil des Osthaus Museums mit Werken von Christian Rohlfs gefüllt, der lange in einem Atelier in Osthaus’ Museum arbeitete und 1938 in Hagen starb; die Ausstellung wird mit Bordmitteln bestückt. In einem Teil des van de Velde-Altbaus hängen Papierarbeiten eines weiteren großen Sohnes der Stadt, des Lyrikers Ernst Meister.
Das Quartier ist gemacht, die Quartierten aber fremdeln. Nachbarschaft ist nicht planbar wie Architektur. Die Akteure sprechen übereinander mit geschäftsmäßiger Höflichkeit, in die feine Herabsetzungen einfließen. Man belauert einander. Ein Gerangel um die knappe Ressource Geld und Aufmerksamkeit kündigt sich an. Konkurrenz kann lähmen. Aber belebt auch. Sie haben die Wahl. //
Christian Rohlfs: Musik der Farben / Ernst Meister: Bilder 1955–1978. Beide 30. August bis 22. November 2009, Osthaus Museum. www.osthausmuseum.deEmil Schumacher: Material als Motiv. 28. August bis 9. November 2009. www.esmh.de