Martin Heckmanns hat eines der acht »stücke« geschrieben, die zum gleichnamigen 32. Mülheimer Wettbewerb geladen sind. Das Festival deutschsprachiger Dramatik beginnt am 12. Mai und endet am 2. Juni mit der Verleihung des angesehenen, mit 15.000 Euro dotierten Preises. Heckmanns, 1971 in Mönchengladbach geboren, lebt in Berlin. Er hat bisher zehn Dramen verfasst. »Kommt ein Mann zur Welt« wurde soeben in Düsseldorf uraufgeführt (siehe Seite 12). Zum dritten Mal ist der Autor in Mülheim dabei – nach 2003 (»Schieß doch, Kaufhaus!«) und 2004 (»Kränk«) – und steht mit »Wörter und Körper « wiederum in Konkurrenz zu Elfriede Jelinek und Armin Petras (alias Fritz Kater), den Gewinnern der damaligen Dramatikerpreise, während Heckmanns die Publikumspreise erhielt. Andreas Wilink unterhielt sich mit Martin Heckmanns über Wörter und Körper, Selbstbehauptung und das Spiel der Möglichkeiten.
K.WEST: Haben Sie einen Therapievorschlag für die in Ihren Stücken chronische »Krankheit der Jugend«, die vielleicht eine angemessene Reaktion auf die Überforderung darstellt?
HECKMANNS: Was Sie als Krankheit beschreiben, nenne ich Geschenk der Jugend. Aufbegehren, Neugier, Übermut. Das geht den meisten doch leider im Laufe der Jahre verloren. Therapiert werden sollen die, die sich abgefunden haben mit den Verhältnissen. Theater hat immer auch mit Sensibilisierung zu tun, und da sind jugendliche Helden meistens bessere Berater, einfach weil sie neuer sind auf der Welt und überraschter von den Unwahrscheinlichkeiten, die anderen schon Alltag wurden. Im besten Fall sind Theater und Jugend Kraftspender. Wer genug davon hat, kann ja shoppen gehen.
K.WEST: Wenn Sie auf Ihre Theaterarbeit seit den beiden Mülheim-Einladungen schauen – auch auf Ihre trotz Schüchternheit rasante Bühnenpräsenz –, haben sich die »Wörter und Körper« weiter entwickelt?
HECKMANNS: Meine Angst wird schwächer. Ich weiß noch nicht, ob das positiv ist. Ich gebe den Figuren mehr Freiheit. Auch die erzählenden Passagen in den Stücken sind neu. Speziell in »Wörter und Körper« habe ich der verlorenen Frau im Zentrum einen Raum gegeben, den ich früher viel schneller mit einer Pointe aufgehoben hätte. Jetzt traue ich ihr eine Haltlosigkeit zu, die ich mir früher aus Angst vor Langeweile nicht erlaubt hätte. Angst macht schnell und witzig. Vielleicht auch nicht schlecht. Aber wie könnte ich zurückfinden zu meiner alten Angst?
K.WEST: Sind Sie ein Schnellschreiber? Kaum wurde das eine Stück in Stuttgart uraufgeführt, hatte das nächste schon in Düsseldorf Premiere.
HECKMANS: Das Stück für Stuttgart sollte schon im Sommer letzten Jahres rauskommen, und ich bin nicht fertig geworden, weil die zwölf Monate davor nicht gereicht haben. Die Leitung in Stuttgart hat mir daraufhin eine Fristverlängerung gewährt. Das rechne ich den Verantwortlichen hoch an, die sind wirklich sehr ernsthaft und loyal. Das ist nicht selbstverständlich, dass Zauderer noch eine zweite Chance bekommen. Ich müsste mich vergleichen, um zu wissen, ob ich schnell schreibe. Und unter diesem Kriterium interessiert mich der Vergleich nicht besonders.
K.WEST: Könnte man Sie selbst einen Kommunikationsdesigner nennen, entsprechend dem Beruf des Vaters in Ihrem Stück »Kränk«?
HECKMANNS: Könnte man. Wahrscheinlich könnten wir uns alle so nennen. Man kann mich eigentlich nennen, wie man will. Solange man die Texte noch liest und nicht meint, mit einem Überbegriff für den Autor alles erledigt zu haben.
K.WEST: Goethe spricht von »veloziferisch« als höllischem Prinzip der Beschleunigung – der Zeitraffer, die Verdichtung ist Ihre oder eine Ihrer formalen Methoden. »Das wundervolle Zwischending« läuft in sechs Tagen ab. »Ein Mann kommt zur Welt« lebt sein ganzes Leben im Schnelldurchlauf. Treiben Sie den Teufel mit Beelzebub aus?
HECKMANNS: Tatsächlich scheint mir im Zeitempfinden der wesentliche Unterschied zu älteren Autoren zu liegen. Dass vor allem durch die Routinen des Sehens bestimmte Motive nur noch zitiert werden müssen, Ereignisse angerissen, dass der weitere Verlauf schon vorauszusehen ist. Das ist für die Protagonisten in meinen Stücken immer auch ein Problem, dass für jedes Erleben schon ein Zitat bereit steht. Dass sie sich ihre Zeit erst erkämpfen müssen gegen die Beschleunigung, um zu einer eigenen Erfahrung zu kommen.
K.WEST: Ihre mit sich uneins seienden Figuren könnte man leer oder übervoll nennen, je nachdem. Der Mensch ist oder hat kein Ich, sondern viele Ichs. Trauen Sie sich selbst, Ich zu sagen – wen oder was meinen Sie dann?
HECKMANS: Das wird in »Kommt ein Mann zur Welt« thematisiert. Wenn man nicht mehr weiß, wer man ist, sagen es einem die Institutionen. Spätestens bei einem Rechtsverstoß wird man darauf hingewiesen, dass derjenige, der die Tat begangen hat, auch derjenige ist, der dafür ins Gefängnis gehen wird. So sorgt sich der Staat um die Identität. Im Gespräch und auf der Bühne finde ich vor allem Projektcharakter der Selbstbehauptung interessant. Dass sich jemand als Ich bezeichnet, zu dem er erst werden will. Dass ich mich entwerfe mit jedem Versuch, mich zu beschreiben. Dass die Erfüllung noch aussteht. Ganz bei sich ist man erst im Tod, heißt es im Stück. Bis dahin suchen wir noch.
K.WEST: Unabhängig von möglichen oder unmöglichen Antworten ist es doch auch eine romantische Fragestellung, dem nachzugehen, was uns im Innersten zusammenhält. Ist in dem Spiel der Möglichkeiten, dem auch sprachlich organisierten Spiel mit Widersprüchen, Ungewissheiten und Teilaspekten – »Wie nimmt man einen Menschen wahr? Immer nur teilweise«, heißt es in »Wörter und Körper« – darauf bereits eine Antwort enthalten?
HECKMANNS: Geht es in der Frage nach dem Menschen um verbindliche Antworten? Will man das wirklich geklärt wissen, nach welcher Mechanik das Gegenüber funktioniert? Oder besteht nicht die Lust vielmehr darin, mit dem anderen in ein Spiel zu treten, in dem die Regeln immer wieder neu erfunden werden müssen? Insofern ja. Im Spiel liegt die Antwort. Sie ist im Spiel, sie wird gespielt, sie kann nicht fixiert werden. Wir spielen mit Sprache und die Sprache spielt mit uns. Deshalb das Theater. Und deshalb kann so ein Theaterabend auch nicht auf eine These reduziert werden, auch wenn das in Interviews gern eingefordert wird. Nach romantischem Verständnis soll sich auch die Kritik auf dieses Spiel einlassen statt Noten zu verteilen und eine Richterposition einzunehmen. Es geht um Entwicklungen, nicht um ein Abschlusszeugnis.
K.WEST: Die Revue, das Varieté-Programm, der Sitcom-Stil scheinen die Ihren Stücken angepasste Genre-Form, insofern als sich Auflösungs- Tendenzen, Beschädigungen und Bruchstellen froh und munter gestimmt, wie moussierend und leichthändig darbieten?
HECKMANS: Ich habe Inszenierungen meiner Stücke gesehen, die sehr hart und ernst waren und andere, die eher Zeichentrickfilmen ähnelten. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Lesarten, Sprechweisen und Interpretationen ein Text erlaubt. Auf Bühnen erleben zu dürfen, dass Lesen und Verstehen nicht sicher sind und kaum zu regulieren, empfinde ich als anregend für die weitere Arbeit. Das Rätsel der Verständigung. Das kannte ich vorher nur aus den theoretischen Diskussionen in der Hermeneutik.
K.WEST: Wenn Ihr Personal Ihnen auf der Bühne begegnet, wie schauen Sie es an, schreckhaft oder gelassen?
HECKMANNS: Begeistert. Bekörpert. Dankbar in erster Linie. Ich würde am liebsten ständig danke sagen, wenn ich die Menschen auf der Bühne sehe. Schauspieler sind für mich, als Stubenhocker, immer wieder eine Sensation. Was die alles können. Schon dafür lohnt es sich ins Theater zu gehen oder in den Zirkus, um an die Möglichkeiten des Menschen erinnert zu werden. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen ich mich ärgere, wie mit dem Text umgegangen wird. Aber ich versuche mich zu wundern statt zu ärgern und mich neugierig zu halten.
K.WEST: Sie würden, sagen Sie, in den Stücken Gegenrede führen zu Bernhard und Cioran, zu »Vanitasklagen und Menschheitsbeschimpfungen «. Reagieren Sie mit Ausgelassenheit auf all die vergeblichen Anstrengungen, die vielleicht gar nicht so vergeblich sind, weil sie das Rad am Laufen halten? Wäre da eine Nähe zu Beckett und seinem wortreichen Scheitern? Oder fühlen Sie sich sonst einer literarischen Ich- und Weltwahrnehmung besonders nahe?
HECKMANNS: Goethe. In letzter Zeit merke ich immer wieder, das gab es alles schon bei Goethe. Aber das heißt ja nicht, dass man es nicht mehr neu versuchen müsste. Fürs hier und heute und deshalb anders.