TEXT: GUIDO FISCHER
Wer Flugangst hat, muss unten bleiben, auch wenn mit Karlheinz Stockhausen als Bodenpersonal nicht viel passieren konnte. Selbst dem Kronos Quartet wurde es 1995 zu brenzlig, als Stockhausen den Amerikanern die Uraufführung seines »Helikopter«-Quartetts anbot. So sprang das englische Arditti Quartet ein und tollkühn in die vier Hubschrauber, um Stockhausens Klänge im Wortsinn abheben zu lassen. Denn davon war der Jahrhundertkomponist schon immer überzeugt: Irgendwo in den Weiten des Sonnensystems existiert musikalisches Leben in vorbildlicher Universal-Harmonie. Den letzten Beweis dafür blieb Stockhausen schuldig. Zumindest aber mit seinen komponierten Annäherungen an diese »transrealistischen Welten« hatte er ein halbes Jahrhundert lang objektiv die Musiksphären revolutioniert. Ende 2007 starb Stockhausen mit 79 Jahren in seinem Wahlheimatstädtchen Kürten bei Köln.
Drei Jahre zuvor hatte er sein über 30-stündiges Opern-Gesamtkunstwerk »Licht« abgeschlossen; kaum vollendet, setzte er mit Feuereifer seine damit begonnene musikalische Schöpfungsgeschichte fort. Nach den sieben Wochentagen von »Licht« nahm er 2004 die 24 Stunden eines Tages ins Visier. Wiederum bildete die spirituelle Folie jene auf stolzen 2000 Seiten formulierte Heilslehre Urantia, die in fernen Galaxien das Christentum in schönster Herrlichkeit vollendet sieht. Für den vom rheinischen Katholizismus geprägten Erz-Esoteriker Stockhausen musste die kosmologische Welt das reinste Paradies sein. Mit dem Kammermusik-Zyklus »Klang, die 24 Stunden des Tages« begab er sich auf die Reise dorthin.
Am 5. Mai 2005 zündete die erste Raketenstufe. Erneut stand die Startrampe in der lombardischen Metropole Mailand, wo schon 1981 mit der Uraufführung von »Donnerstag« die »Licht«-Expeditionen aufgebrochen waren. Statt in der Scala trat Stockhausen seine »Himmelfahrt« (dies der Name der ersten »Klang«-Stunde) nun im Dom an und ließ in seinem überhaupt einzigen Orgelstück die Luft und den göttlichen Geist vibrieren. Gemäß seines Glaubenssatzes »Gott ist Klang«. Was sollte Stockhausen ihm fortan nicht alles ablauschen! »Schönheit« und »Hoffnung« (6. und 9. Stunde), »Freude« und »Glanz« (2. und 10. Stunde). Zwischendurch besuchte Stockhausen dann die in Urantia beschriebenen Superuniversen wie »Orvonton«. Bis ins »Paradies« kam Stockhausen immerhin, musste den Zyklus jedoch als Fragment hinterlassen.
Viele der für unterschiedlichste Kammermusikbesetzungen komponierten Stücke wurden noch zu seinen Lebzeiten aufgeführt. Nicht nur bei den alljährlich veranstalteten Stockhausen-Kursen in Kürten, sondern auch in Rom oder London. Doch erst jetzt ist der »Klang«-Reigen in seiner überlieferten Gesamtheit mit sechs Uraufführungen zu hören. Bei der Kölner MusikTriennale stellt sich die musikFabrik der Mammut-Aufgabe in einem Wandelkonzert.
Auf neun Konzertsäle und Kirchen verteilen sich die Mitglieder der musikFabrik zwei Tage lang (jeweils von 12 bis 24 Uhr), um klangraumsprengend in jene Regionen des Alls vorzustoßen, die bislang eben nur Stockhausen gesichtet und gehört hat. Dann wird man beispielsweise Augen- und Ohren-Zeuge, wie sich ein Schlagzeuger Eintritt durch eine gezimmerte »Himmels-Tür« verschafft. Oder wie zwei singende Harfenistinnen mit dem Pfingsthymnus Veni Creator Spiritus die Sprossen der himmlischen Leiter erklimmen. Halleluja!
MusikTriennale Köln; 8. und 9. Mai; 12 bis 24 Uhr;div. Orte wie Philharmonie und KOMED-Saal;