INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Im Oktober 2011 wurde der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt. Was der Prozess vor dem Kölner Landgericht ahnen ließ, bestätigt nun ein Buch: Der Bilderfälscher war nur die Blüte auf einem weiterhin lebendigen, höchst einträglichen Sumpf. Das Interesse an einer Durchleuchtung der ganzen Szene ist gering, der Fall Beltracchi wird nicht der letzte sein. Ein Gespräch mit einem der beiden Autoren des Bandes »Falsche Bilder – Echtes Geld«, Stefan Koldehoff, über die Grauzonen des Kunsthandels.
K.WEST: Ihr Buch – das sich, nebenbei bemerkt, spannend wie der Krimi liest, der es ja auch ist – lässt nur einen Eindruck zu: nämlich dass die kriminelle Energie der Beltracchi-Bande nicht erfolgreich gewesen wäre ohne ein begünstigendes System auf dem Kunstmarkt. Wie würden Sie dieses System beschreiben?
KOLDEHOFF: Da gibt es zwei Komponenten. Erstens Beltracchi und seine Frau Helene, die eine kluge Idee hatten. Sie haben nämlich in Auktions- und Ausstellungskatalogen der 1900er, 1910er Jahre nachgeschaut, welche Bilder es definitiv mal gab, die dort aber nur genannt, nicht abgebildet waren, weil das damals sehr teuer war. Und welche davon irgendwann als verschollen galten. Diese Bilder hat Beltracchi dann mit großem handwerklichen Geschick hergestellt und ist damit – zweite Komponente – in den Handel gegangen, der offenbar in den meisten Fällen kein großes Interesse an sorgfältiger Prüfung hatte. Es gibt absolut skrupulöse Galeristen und Auktionatoren, die alles nachprüfen. Aber es gibt eben auch die andern. Die glaubten bereitwillig die Geschichte, die ihnen immer wieder von Beltracchi und seinen jeweiligen Einlieferern erzählt wurde: Hier ist ein verschollenes Bild, wir haben es wiedergefunden, es hat beim Opa meiner Frau, dem ominösen Werner Jägers, den Krieg überlebt und so weiter. Und die dann keinerlei Prüfungen vornahmen, sich keine Ankaufsbelege zeigen oder gar materialtechnischen Untersuchungen vornehmen ließen.
K.WEST: Zur Methode Beltracchi gehörte auch, sich die Echtheit des falschen Bildes von einem Experten bescheinigen zu lassen, bevor es zum Händler ging.
KOLDEHOFF: Ein weiterer Fehler des Systems Kunstmarkt! Es gibt für ganz viele Künstler nur einen einzigen Menschen, der über Ja oder Nein entscheidet und damit darüber, ob ein Werk 150 Euro oder eine Million wert ist. Es gibt kein Verbot in diesem System Kunstmarkt, dass derjenige, der ein Bild für echt erklärt, hinterher auch noch dran verdienen darf.
K.WEST: Das Bemühen der Kunsthistoriker, Galeristen und Auktionshäuser, die Echtheit von ihnen angebotenen Kunstwerken wider alle Verdachtsmomente und Widersprüche akzeptieren zu wollen, wirkt – folgt man Ihren Schilderungen – geradezu manisch. Wie ticken diese Menschen?
KOLDEHOFF: Die ticken so, dass sie auf der permanenten Suche nach marktfrischen Bildern sind. Wer ein teures Kunstwerk kauft, kauft häufig nicht nur das Bild, sondern auch das mit ihm verbundene Prestige. Das heißt, er möchte eine Geschichte mit kaufen: ganz, ganz wichtiges Werk, ganz, ganz lange verschollen gewesen und so weiter. Die von Beltracchi angebotenen Bilder lieferten diese Geschichte: berühmte Herkunft aus Galerien wie der von Alfred Flechtheim oder »Der Sturm«. Und dann gingen die Signallämpchen häufig alle aus. Da ist viel Psychologie dabei. Aber hinter der Gier nach dem Neuen verbirgt sich eben auch die Gier nach dem Geld. Die Gewinnspannen im Kunsthandel ähneln laut Polizei denen im Drogen- oder Menschenhandel. Außerdem, das haben uns viele Galeristen bestätigt, werden immer noch wahnsinnig viele Verkäufe mit Schwarzgeld abgewickelt, bar, ohne Quittung, sowohl an Experten als auch an Händler. Das sind skandalöse Zustände, die mit einer aufklärten Marktwirtschaft nichts zu tun haben dürften.
K.WEST: Zur Herkunftslegende der von Beltracchi gefälschten Bilder gehörte meist die Behauptung, sie stammten aus der Sammlung Werner Jägers. Der Mann wäre beim Kauf all dieser Avantgarde-Kunstwerke Ende der 1920er Jahre nicht mal volljährig gewesen. Aber keiner der Händler fragte nach. Waren sie so leichtgläubig, weil sie was ahnten, aber wussten, sie würden nicht erwischt werden?
KOLDEHOFF: Wir haben im Fall Beltracchi keinen einzigen Verkauf gefunden, bei dem wir nachweisen könnten, dass jemand bewusst mit einer Fälschung gehandelt hat. Allerdings gab es hier und da sehr deutliche Hinweise darauf, dass aus der Sammlung Beltracchi zumindest zweifelhafte Bilder kamen, etwa an das Auktionshaus Lempertz in Köln. Und trotzdem gelangte der Name Beltracchi nicht in die Öffentlichkeit, wurde der Markt nicht gewarnt. Das ist natürlich kein aktives Handeln mit Fälschungen, aber auch kein sehr offener Umgang mit dem Thema. Eine Grauzone.
K.WEST: Immer wieder – Ihr Buch bietet eine enorme Menge von Belegen – finden sich Top-Experten, die einen Beltracchi zu einem Derain, Dufy, Campendonk oder Max Ernst erklären – im letzteren Fall tut dies der angesehene Kunsthistoriker Werner Spies. Erst die technischen Experten erkennen die Fälschungen, indem sie etwa ein Pigment im Bild finden, das es zu Lebzeiten des Malers noch nicht gab. Warum wird bei solchen Hochpreisgeschäften nicht genauer geprüft?
KOLDEHOFF: Naturwissenschaftliche Prüfungen kosten Geld und Zeit. Geld ist im Kunsthandel sicherlich vorhanden. Wenn man ein Bild für 4 Millionen verkauft und dafür eine Provision von 10 bis 20 Prozent erhält, kann man 1500 Euro für eine Expertise ausgeben. Der entschiedene Faktor ist die Zeit. Die Beltracchis haben sehr klug oft relativ kurz vor Auktionen ihre Bilder angeboten, sie kannten das System, sie wussten, jetzt bleiben noch maximal zwei bis drei Wochen bis zur Katalogisierung, das ist für eine materialtechnische Prüfung zu kurz.
K.WEST: Man kann über Beltracchi nicht sprechen, ohne über Werner Spies zu sprechen. Wie kann jemand mit einer solchen Reputation hingehen und ein ihm fremdes Bild aus einer ihm bislang unbekannten Sammlung flüchtig anschauen und als einen echten Max Ernst deklarieren? Und dies mehrfach. Von der Bezahlung, die er für seine Expertisen bekommen hat, mindestens 400.000 Euro allein von Beltracchi, ganz zu schweigen.
KOLDEHOFF: Zumal er selbst auch Hunderte solcher Fälschungen von Ernst aus dem Verkehr gezogen hat! Wir haben das auch nicht verstanden, wir hätten ihn das gern gefragt, er wollte mit uns aber nicht sprechen. Ich kann nur hobbypsychologisch antworten. Werner Spies kannte Max Ernst seit den 1960er Jahren, und wenn man jahrzehntelang eng mit einem Künstler zu tun hat, dann gewinnt man wahrscheinlich irgendwann den Eindruck, man sei so etwas wie dessen Alter ego und kenne das Werk wie der Künstler selbst. Nur so kann ich mir Aussagen von ihm erklären wie: Mir reicht es, die Vorderseite zu sehen. Das hat sicher auch mit Selbstüberschätzung zu tun. Und der finanzielle Aspekt ist vielleicht so zu erklären: Wenn man jahrzehntelang mitbekommt, dass die eigene Unterschrift als der Max-Ernst-Experte dazu führt, dass Leute plötzlich um Hunderttausende reicher sind, dann stellt man sich vielleicht auch irgendwann die Frage, warum sollte ich daran nicht in irgendeiner Form teilhaben.
K.WEST: Sie erwähnen Vorfälle, die wie Versuche aussehen, die durch die Spies-Expertisen Geschädigten dadurch zu solvieren, dass ihnen per Max-Ernst-Museum in Brühl Gutes zukam. Was hat es damit auf sich?
KOLDEHOFF: Wir waren sehr erstaunt zu sehen, dass das Max-Ernst-Museum offenbar Bühne werden konnte für Kunsthändler, die in den Verkauf gefälschter Beltracchis involviert waren. Bevor der Skandal richtig an die Öffentlichkeit geriet, geschah das dadurch, dass eine der Beltracchi-Fälschungen, ein großes »La Fôret«-Bild, sehr prominent im Hauptsaal der Eröffnungsausstellung des Museums gehängt und wenig später für einen immensen Preis verkauft wurde an einen Privatsammler. Danach bekam das Museum vom Händler, der dadurch viel Geld verdient hatte, ein kleines Gemälde geschenkt – was schon wie eine Dankesgabe aussah. Das Museum bestreitet einen Zusammenhang. Und wir wissen vom Versuch, von einem Privatsammler ein Bild fürs Max-Ernst-Museum anzukaufen, wofür öffentliche Förderanträge gestellt wurden – dieser Sammler ist einer der von Werner Spies durch dessen falsche Max-Ernst-Expertisen Geschädigten. Auch hier spricht das Museum von Zufällen. Es sind öffentliche Gelder, von denen das Museum finanziert wird. Wir haben den Eindruck, dass da auch private Interessen finanziert werden. Das Max-Ernst-Museum befindet sich in der Trägerschaft des Landschaftsverbandes Rheinland, Werner Spies ist nun Mitte Juni als Vorsitzender des Stiftungsrates und des Kuratoriums in Brühl zurückgetreten und will dort auch keine Ausstellungen mehr kuratieren. Trotzdem sind mit seinem Rückzug, mit dem er einer Nichtverlängerung seiner Verträge nur zuvorkam, noch nicht alle Fragen zu diesem Museum beantwortet. Das müssen nun dringend die Träger – Landschaftsverband, Kreissparkasse Köln und die Stadt Brühl, tun.
K.WEST: Inwieweit sind Museumsleute, die unabhängigen Sachwalter der Kunst, verwickelt in den Kunstmarkt mit seinen teilweise unsauberen Methoden?
KOLDEHOFF: Es gibt durchaus Museen und Museumsverantwortliche, die im Kunsthandel munter mitmischen. Es gab hier in Köln einen Museumsdirektor, der Verkaufsveranstaltungen in anderen Städten organisiert und, zur Nobilitierung des Angebots, auch Bilder aus dem eigenen Haus als Leihgaben dazu gehängt hat. Aus diesen Ausstellungen wurde dann Werke z.B. von Lovis Corinth verkauft. Die kamen aus Galeriebesitz, aber ein Museumsdirektor hat mitgemischt. Der damalige Ahlener Museumsdirektor Burkhard Leismann, der eng mit den Beltracchi-Leuten zusammenarbeitete, sagt, er habe für seine Bildprüfungen nie kassiert. Er hat aber durchaus Beltracchi-Bilder zu vermitteln versucht. Die amerikanischen Museen haben einen Ehrenkodex für ihre Direktoren. Mir ist nicht bekannt, dass es das für Deutschland gäbe.
K.WEST: Als Konsequenz aus dem Beltracchi-Skandal haben Sie acht Forderungen an den Kunsthandel gestellt. Welche davon sind Ihnen die wichtigsten?
KOLDEHOFF: Wir brauchen unbedingt die Trennung zwischen Expertentum und Kunsthandel. Also eine Selbstverpflichtung, dass, wer Bilder expertisiert, an deren Verkauf nicht verdienen darf. Zweitens brauchen wir unbedingt die Stärkung der naturwissenschaftlichen Forschung an Bildern, d.h. eine finanzielle Aufwertung der bestehenden Labore. Allerdings gab es vor etwas mehr als zehn Jahren einen großen Skandal im Museum Folkwang, da wurden hunderte von Jawlensky-Fälschungen als echt präsentiert, Arbeiten, die auch schon im Handel gewesen waren. Danach schworen alle, nun muss sich Wesentliches ändern. Passiert ist nichts. Daher sind wir auch jetzt eher skeptisch. Da hat keiner ein wirklich großes Interesse, zumal in Zeiten der Wirtschaftskrise, an den Grundfesten dieses Systems Kunsthandel zu rühren. Auf unsere Vorschläge eines Kodex haben die Kunsthandelsverbände bisher in keiner Weise reagiert.
Stefan Koldehoff und Tobias Timm: »Falsche Bilder – Echtes Geld. Der Fälschungscoup des Jahrhunderts – und wer alles daran verdiente«; Galiani Verlag Berlin, 19,99 Euro