9000 Euro hat Berlin auf Antrag an jene Soloselbstständige überwiesen, die coronabedingt in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind. Oder besser: Hat überweisen lassen, von den Ländern, weil der Bund selbst nicht über die Strukturen für so eine Geldverteilung verfügt. Von da an steckte der Teufel im föderalen Detail, denn die Länder haben sich mit diesen Mitteln – immerhin aus dem Etat des Bundeswirtschaftsministers – ihre jeweils ganz eigenen Hilfsprogramme gebastelt.
In NRW hatte man es besonders gut mit der Zielgruppe meinen wollen und das Geld anfangs auch für den privaten Lebensunterhalt der Antragsteller*innen freigegeben. Doch schon nach wenigen Tagen drängte das Bundeswirtschaftsministerium auf Änderung und verwies dabei auf die zugehörige Vereinbarung zwischen Bund und Ländern: Als wirtschaftspolitische Fördermaßnahme sollten die 9000 Euro nur sogenannte Liquiditätsengpässe von Unternehmen überbrücken, nicht von Privatpersonen. Selbst Einzelunternehmer*innen – ob Taxifahrer, Hebamme oder Künstler*in – dürften davon weder Wohnungsmieten noch ihre Einkäufe bezahlen. Wer sein privates Leben nicht mehr finanzieren könne, müsse Grundsicherung beantragen. Die wurde extra dafür gesetzlich aufgestockt und umfasst bis September den Hartz-IV-Satz plus Mietkosten, aber ohne vorherige Vermögensprüfung. Zähneknirschend kassierte das NRW-Wirtschaftsministerium daraufhin seine vermeintliche Großzügigkeit zum 1. April.
Zur selben Zeit musste Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen einräumen, dass auch ihr Künstler-Hilfsprogramm völlig unzureichend war: Nur 3000 von fast 17.000 Antragsteller*innen hatten die maximal 2000 Euro bekommen – dann war der vorgesehene Topf von fünf Millionen Euro verbraucht. Die Mehrheit der Kulturschaffenden in NRW, von denen viele zurzeit ohne Auftrittsmöglichkeit und damit Einkommen sind, fühlten sich von ihr zu Recht hinters Licht geführt. Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart wiederum hatte bei der Soforthilfe – ungewollt – nun für eine Zweiklassengesellschaft gesorgt: Die frühen Vögel fingen den Wurm in Form des Lebensunterhalts. Diese Zusage muss nämlich auch weiterhin gelten (das nennt man formalrechtlich »Vertrauensschutz«). Die Zuspätgekommenen hingegen wird das Leben gleich doppelt bestrafen: Sie müssen nicht nur die Grundsicherung beantragen, sondern werden auch mit deren als »Sozialschutzpaket« etikettierter Aufstockung nicht ihre Versicherungen, Altersvorsorge oder die Ausbildung ihrer Kinder zahlen können – Kosten, die sich von ihren regulären Einnahmen bisher mehr oder weniger problemlos finanzieren ließen. Von den 432 Euro im Regelsatz ALG II, von denen auch noch Strom, Telefon, Internet und Kabelfernsehen sowie nicht zuletzt ein paar Lebensmittel bezahlt werden müssten, ist das schlicht nicht möglich.
Diese Probleme haben natürlich Freiberufler*innen aller Branchen. In der Kultur- und Kreativwirtschaft sind allerdings die Folgen besonders verheerend: Zuletzt gehörte sie bei den Erwerbstätigenzahlen wie bei der Wertschöpfung in Euro-Milliarden zu den drei Top-Drei der Republik, noch vor Maschinenbau, Energie oder Chemie. Doch im Gegensatz zu diesen Industrien liegt bei den Kreativen der Anteil an (Solo-)Selbstständigen weit über 30 Prozent. Wenn diese Existenzen nicht über die Krise gerettet werden, verliert die Branche mehr als nur ein paar Akteur*innen, sondern ihren Grundpfeiler. Das betrifft die (Live-)Musikszene wie das Theater und die Literatur wie das Kino, Architekten oder die Gamesbranche. Die Landesregierung zeigt nun mit dem Finger auf den bösen Bund, der in fast siebenwöchigen Nachverhandlungen stur geblieben sei. Berlin antwortet: Wir helfen doch massiv, mit Soforthilfe und Sozialschutzpaket. Wenn ein Land aber mehr machen will, muss es das eben selbst zahlen – zumal ausgerechnet die Kulturhoheit laut Grundgesetz ja bei den Ländern liege.
Mitte Mai haben Kulturministerin Pfeiffer-Poensgen und Wirtschaftsminister Pinkwart bei ihrem Finanzkollegen Lienenkämper – letztlich aber natürlich bei Ministerpräsident Laschet – gerade mal 2000 Euro pro Antragssteller*in für den Lebensunterhalt ihrer Schützlinge loseisen können. Und selbst das nur rückwirkend. Schon für den vergangenen Monat gab es nichts mehr. Dieses kümmerliche Ergebnis allen Ernstes mit »Vertrauensschutz« zu überschreiben, ist neben der darin zum Ausdruck kommenden rechtlichen Zwangslage dann nur noch zynisch. Obwohl …eine befreundete Künstler*in bemerkte treffend: »Wieso? Das schützt doch tatsächlich – vor Vertrauen.« Wer hätte noch vor drei Monaten gedacht, dass diese Landesregierung ausgerechnet auf ihrem bisherigen Prestigefeld Kultur derart ambitionslos scheitern würde. Die Krise hat sie gewogen und für zu leicht befunden. Den gesellschaftlichen wie kulturellen Schaden werden wir alle ausbaden.