TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Nein, Christian Krachts »Imperium« wird nicht in den nächsten Wochen am Kiosk mit geschwärzten Stellen dem Schlagzeilenreproduktionsfachblatt »Zeitungszeugen« beiliegen. Den Eindruck konnte man bekommen, schließlich wurde am 13. Februar zurückgeschrieben – der Spiegel warf Kracht auf länglichen vier Seiten die Verbreitung rassistischen Gedankenguts vor; was folgte, waren schriftliche Erklärungen und offene Briefe seitens des Verlags und einer Gruppe von Autoren, die sich über »journalistischen Rufmord« empörten – und die Absage der Premierenlesung in Berlin, da der Spiegel-Angriff Christian Kracht zu sehr »bedrücke«.
Sicher, die »Eroberung der Welt ist nichts Erfreuliches« heißt es schon in Joseph Conrads »Herz der Finsternis«, aber daraus einen Skandal zu konstruieren, ist Unfug. Die Welt, die Kracht in seinem Roman beschreibt, ist Anfang des 20. Jahrhunderts längst erobert, in den deutschen Kolonien im Stillen Ozean (dem heutigen Papua-Neuguinea) versucht »das Strand- und Treibgut des deutschen Kaiserreiches« das schnelle Geld zu machen; mit größtmöglichem Abstand zum Vaterland. Es sind Aussteiger wie der Vegetarier und Nudist August Engelhardt aus Nürnberg, der mit einem Passagierdampfer und elf Überseekisten mit 1.200 Büchern in der Hafenstadt Herbertshöhe auf der Insel Neupommern ankommt, um eine neue Religionsgemeinschaft zu gründen – die »Kolonie der Kokovaren«, die der Kokosnuss als Gottheit huldigt und möglichst viele Glaubensbrüder auf die Kokosplantage locken soll.
Engelhardt ist ein Nachzügler und Weltfremdling, der, angeekelt von den Menschen seines Zeitalters, der Zivilisation entsagt und dabei konsequent scheitert. Nur wenige folgen ihm zum Bismarck-Archipel; das Leben dort ist gezeichnet von Gewalt, Krankheiten und Mangelernährung; schließlich wird Engelhardt (den es tatsächlich gab) langsam aber sicher vergessen und gleitet in geistige Umnachtung ab.
Krachts Erzählton distanziert sich nicht von dieser vergangenen Welt der Freaks und Herrenmenschen, sondern bleibt im Stil der damaligen Reiseberichte allwissend und nüchtern. Und ironisch, vor allem bei Figuren wie dem Lichtesser Erich Mittenzwey aus Berlin-Dahlem oder dem blonden, schwulen Antisemiten Aueckens von der Insel Helgoland, der als Kokos-Jünger anreist, nicht nur Engelhardt nachstellt und ein paar Seiten weiter zügig und konsequent sein Leben lassen muss.
Die heraufziehenden Katastrophen der Weltkriege, dieses »große Finsternistheater« streift Kracht mit furiosen Satzbauten und beiläufigen Erwähnungen voller Andeutungen. So hängt in den Räumen des deutschen Gouverneurs Hahl in Herbertshöhe die Reproduktion von Böcklins Gemälde »Die Toteninsel« – Hitlers Lieblingsbild –, das aber später, als der Erste Weltkrieg nach Neupommern kommt, von australischen Soldaten kurzerhand erbeutet und requiriert wird. Dann wieder zieht Kracht Parallelen zwischen August Engelhardt und einem »anderen verhinderten Künstler, Romantiker und Vegetarier«, »der vielleicht lieber bei seiner Staffelei geblieben wäre« – eine der vermeintlich heiklen Stellen, die den munteren Briefverkehr zwischen Verlag und Magazin befeuert hat. Und es gelingt Kracht, in einem einzigen Absatz die Geschichte mehrerer Jahrzehnte zusammenzufassen, von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo über die giftgasverseuchten Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs bis zu den Rampen des Hamburger Dammtorbahnhofs, von denen aus Familien ostwärts verschickt werden, »hinaus an die Ränder des Imperiums«. Welten brechen zusammen, oft nur in einem Nebensatz – das ist kühn, diskussionswürdig und gerade deswegen so gut.
Christian Kracht: »Imperium«; Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 256 Seiten, 18,99 Euro
Lesung im Rahmen der »Lit.Cologne« am 17.3. in der Kulturkirche Köln. www.litcologne.de