Eine offene Kloake – gespeist aus den Abwässern des Ruhrgebiets. So floss sie über Jahrzehnte dahin in ihrem tiefen Betonbett. Das war einmal die Emscher: der »dreckigste Fluss Deutschlands«. Heute, nach bald 30 Jahren der Renaturierung, ist das Bild ein ganz anderes. Grün gedeiht an den Ufern. Statt Chemie und Fäkalien führt das Flüsschen Quellwasser. Wie in vorindustriellen Zeiten kann es sich, wo immer, schlängelnd seinen Weg durch die Landschaft bahnen. Schilf wächst, und Fische freuen sich. Auch Eisvögel wurden schon gesichtet.
Die »Emscherkunst« begleitet diesen beispiellosen Umbau seit 2010. Alle drei Jahre kamen Künstler*innen hierher mit ihren Werken. So prominente wie Mark Dion, Bogomir Ecker und Mischa Kuball waren dabei, Monica Bonvicini oder Lawrence Weiner. Ai Weiwei schlug tausend kleine Zelte am Ufer auf, und Tadashi Kawamata setzte einen zwölf Meter hohen Aussichtsturm aus Lärchenholz auf eine Anhöhe. Massimo Bartolini baute in der Nähe des Hochwasserrückhaltebeckens in Dortmund an der Grenze zu Castrop-Rauxel auf dem Hof Emschertal und in Erinnerung an Kasimir Malewitschs Nullpunkt der Malerei ein rundes schwarzes Wasserbecken im weißen Quadrat: Ein Saxofonist und eine Schwimmerin flankierten während der Ausstellung 2016 einen kehrenden und wischenden älteren Mann, der sich um das Becken kümmerte – in diesem Jahr soll die dazugehörige Performance wiederaufgeführt werden.
Eine Art Fahrradständer als Skulptur will Nicole Wermers umsetzen. Sie plant ein Edelstahl-Gerüst als gleichschenkliges Dreieck. Mit 50 Rädern etwa, die ziemlich chaotisch rundherum abgestellt scheinen, in Wirklichkeit aber sorgsam sortiert, präpariert und festgeschweißt werden. Man denkt an Innenstadt und Hauptbahnhof. Doch die Künstlerin wünscht sich für ihr »Emscher Folly« einen anderen Platz – nah der Autobahn bei Oberhausen. Mitten im Verkehr, den man hinter Bäumen und einer Böschung nur lärmen hört, aber nicht sehen kann. Wo genau Wermers Arbeit ihren Platz finden wird, steht noch nicht fest. Sicher aber ist, dass sie an die Emscher kommt und auf Dauer bleibt. Als weitere Station auf dem »Emscherkunstweg«. Ein Skulpturenpfad der eigenen Art, den nur versteht, wer die Geschichte der Gegend und des Gewässers kennt.
Viele Werke waren allerdings temporär und verschwanden nach einem Sommer, doch 17 sind geblieben und mitunter zu Wahrzeichen avanciert. Wer kennt sie nicht, Tobias Rehbergers markante Spiralbrücke, wie sie sich schwungvoll über den Rhein-Herne-Kanal windet. Oder jenen tanzenden Strommast, den die Berliner Künstlergruppe »Inges Idee« 2013 auf einer grünen Wiese in Oberhausen installiert hat. Schnell wird klar, dass es diesmal nicht um das schöne Miteinander von Kunst und Natur geht, wie so oft bei Skulpturengärten, -parks oder -pfaden. Eigens für ihren speziellen Ort entstanden, begleiten, reflektieren und kommentieren die Arbeiten den Wandel der Emscher und des Ruhrgebiets auf ganz unterschiedliche Weise – ein ungewöhnliches Projekt, das durch eine Kooperation der Urbanen Künste Ruhr, der Emschergenossenschaft, die für den Umbau der Emscher zuständig ist, und des Regionalverbands Ruhr überhaupt erst möglich wird.
Am besten lässt sich das als Ganzes und per Rad erfahren. Auch Britta Peters hat es gleich ausprobiert, als sie 2018 die Leitung der Urbanen Künste Ruhr übernahm und sich vor der Frage sah, wie die Zukunft der »Emscherkunst« aussehen könnte. 100 Kilometer auf dem Sattel, danach stand ihr Plan fest, aus der »Emscherkunst« eine Dauereinrichtung zu machen – den »Emscherkunstweg«. Die bestehenden Arbeiten sollen fit gemacht und bis 2022 nun durch fünf Neuzugänge ergänzt werden. Nicole Wermers sperriger Radständer im grünen Idyll neben der lärmenden Autobahn lässt sich jedenfalls dann sehr leicht als ironischer Kommentar auf die fahrradtouristische Entwicklung der Region deuten.
Geführte Fahrradtouren auf dem »Emscherkunstweg« gibt es voraussichtlich wieder ab Juli 2020.