TEXT: STEFANIE STADEL
Er malt unermüdlich. Jeden Tag von früh bis spät trägt Frank Auerbach die Farben auf und kratzt sie wieder ab, um auf den Resten von Neuem zu beginnen – bis er zufrieden ist mit seinem Bild. Gut 70 Proben dieser Kunst kommen jetzt in der Ausstellung des Bonner Kunstmuseums zusammen. Sie machen bekannt mit einem Maler, der neben Kollegen wie Francis Bacon und Lucian Freud zu den führenden Vertretern der »School of London« zählt.
Ist es eine wüste Farbschlacht? Oder doch eher ein sensibles Porträt? Zuerst fällt jener gelbe Kreis mit schwarzer Füllung auf, denn er ähnelt einem Auge. Dann richtet sich der Blick auf die satten blau-grünen Pinselschwünge, in denen man plötzlich Haarsträhnen zu erkennen meint. Der Haken rechts mag die profilierte Nase bezeichnen und der dunkle Hügel daneben eine markante Braue. Der Hals mündet in ein nervöses Auf und Ab des Pinsels – vielleicht der Kragen eines hellen Strickpullovers? Um die Frage mit letzter Sicherheit zu klären, bleibt das Titelschildchen. Tatsächlich, es handelt sich um einen Kopf – genauer um jenen von Catherine Lampert.
Nicht der einzige im Bonner Kunstmuseum. Ihr Name taucht wiederholt auf in Frank Auerbachs großer Werkschau dort. Durch die Jahrzehnte hindurch zieht er sich durch sein Schaffen. Seit 1978, als der Maler die Mitarbeiterin einer Londoner Galerie kennengelernt und sofort gefragt hatte, ob sie ihm nicht Modell sitzen wolle. Lampert schlug ein und hält bis heute durch. Mit bewundernswerter Geduld, denn dieser Job könnte einen durchaus ermüden: Woche für Woche am selben Tag bestellt Auerbach sie ein. Lampert kommt immer zur gleichen Zeit, setzt sich auf denselben Stuhl und verweilt dort für Stunden. Mit schnellen malerischen Ergebnissen kann sie dabei nicht rechnen, manchmal benötigt Auerbach Monate, bis er mit einem Bildnis zufrieden ist.
Ob sich das Modell wohl auf diesen Porträts wiederfindet, ob das Bildnis ihm gefällt? Fragt man sich und Lampert, die mit einem zurückhaltenden Nicken antwortet. Zum Start der Auerbach-Schau war sie eigens nach Bonn gereist – als Modell, als Kuratorin und als Botschafterin. Mit ihr sind 71 Werke ins Kunstmuseum gekommen, die Auerbachs beeindruckendes Schaffen auch außerhalb seiner britischen Heimat einem breiteren Publi-kum näherbringen mögen. Es muss wohl recht schwierig gewesen sein, den oft privaten Leihgebern ihre Lieblingsstücke abzuluchsen, zumal sie sich beinahe für ein Jahr davon trennen müssen. Denn nach dem Auftritt in Bonn werden sie weiterreisen zum Heimspiel in die Tate Britain.
Zwar lag ihm diese Schau am Herzen – die meisten Stücke hat der inzwischen 84-Jährige nach eigenem Geschmack ausgesucht und zusammengestellt. Begutachten will er das Bonner Ergebnis aber nicht. Auerbach bleibt daheim, wie immer. In England, wo er seit Jahrzehnten lebt und sich kaum einmal wegbewegt. Das Bedürfnis nach fester heimatlicher Verankerung wird für gewöhnlich mit Auerbachs früher Entwurzelung erklärt: 1931 in Berlin geboren, war er mit nicht einmal acht Jahren allein fortgeschickt worden. Die umsichtigen Eltern hatten den Kleinen wegen seiner jüdischen Abstammung per Schiff in Sicherheit gebracht, bevor sie selbst nach Auschwitz verschleppt und im KZ ermordet wurden. Seit 1943 hat Auerbach – übrigens ein Cousin von Marcel Reich-Ranicki – nichts mehr von ihnen gehört oder gelesen.
Frank machte in der Fremde seinen Weg. Er trotzte der nach dem Kriege vorherrschenden Verachtung alles Gegenständlichen und tat sich gemeinsam mit Größen wie Francis Bacon oder Lucian Freud als wichtiger Vertreter der »School of London« hervor – jener Gruppierung, die sich weniger durch einen gemeinsamen Stil als vielmehr durch ihr unbeirrtes Festhalten an den Dingen auszeichnete.
Zum Start der Bonner Schau sieht man Auerbach mit schweren erdigen Farben hantieren. Zentimeterdick bringt er ein um die andere Lage auf die Leinwand. Die Augen wandern über Farbhügel und Täler, über durchfurchte, zerklüftete Farblandschaften, deren Oberfläche zuweilen wirkt, als sei sie aus Ton modelliert. Nur allmählich tritt das Motiv in Erscheinung – ein Kopf, ein Akt, eine Landschaft.
Nun könnte man zu spekulieren anfangen. Warum kann Auerbach außerhalb von England noch immer als Geheimtipp durchgehen, während seine Kumpels, Freud und Bacon, längst groß herausgekommen sind mit ihrer Malerei? Liegt es an seiner zurückgezogenen Lebensweise? Liegt es an der skrupulösen Haltung gegenüber der eigenen Arbeit, die niemals schnell und spontan vonstatten geht, sondern immer auf mühsamer Annäherung fußt? Oder sind vielleicht auch die immer gleichen wenig spektakulären Motive Schuld an der mangelnden Beachtung?
Zieht Auerbach seine Kreise doch seit den 50ern ausschließlich vor der eigenen Haustür in Borough of Camden, einem Stadtbezirk im Norden von London. Durch die Straßen rund um die U-Bahn-Station Mornington Crescent mit ihrer gekachelten Fassade. Die umliegenden Wohn- und Hochhäuser hält Auerbach immer wieder fest, auch den Schornstein der alten Fabrik. In klaren Linien zeichnet sich die Architektur auf der Leinwand ab.
Landschaftliche Motive findet er auf dem nahen Primrose Hill. Im Sommer 1968 zeigt Auerbach ihn knallgrün, durchkreuzt von rot-blauen Strichen und gibt dabei kaum mehr Hinweise auf den gegenständlichen Anlass seiner Malerei. Im Herbst desselben Jahres erscheint der Hügel dann in sattem Gelb erleuchtet unter bewegt blauem Himmel – ein farbliches Zusammenspiel, das man von Vincent van Gogh zu kennen meint. An einem Winterabend 1975 schließlich überzieht Auerbach den Hügel mit dunklen, aber dennoch starken Farben: Purpur kontrastiert mit tiefem Grün. Lichter sind als kleine weiße Flecken wiedergegeben, und ein kahler Baum im Vordergrund wird zur finsteren Strichgestalt.
Kaum einmal verlässt Auerbach sein Revier. In der Regel nicht mehr als ein paar hundert Meter entfernt er sich von jenem kleinen Atelier, das er 1954 von seinem Kollegen Leon Kossoff übernahm und seither hütet wie seinen Augapfel. Tag ein, Tag aus arbeitet er hier, von früh morgens bis abends. Und er lässt nur Vertraute herein, darunter Lampert und ein paar weitere seit Jahrzehnten treue Modelle. Auerbach vermeidet jede Zerstreuung. Denn er will sich aufs Wesentliche konzentrieren: das Malen. Für ihn sei es Wahnsinn, morgens aufzustehen und etwas anderes zu tun, hat er einmal gesagt. »Es könnte ja sein, dass ich am folgenden Morgen nicht mehr aufwache.«
Dabei hat es sich der Maler niemals leicht gemacht. Nicht in den frühen Jahren, in denen Auerbach dosenweise düstere Farbe auf der Leinwand türmte, als wolle er sich der Erscheinung des Gegenübers versichern, indem er es in Farbmaterie überträgt. Und noch weniger in späteren Arbeiten, die plötzlich viel bunter werden, was man damit erklärt, dass Auerbach mit wachsendem Erfolg und Wohlstand mehr Geld für die teureren leuchtenden Farben übrig blieb. Zwar trägt der Maler seit den 70ern weniger dick auf, doch macht er sich noch mehr Mühe. Denn alles, was er an einem Tag malt, kratzt er am nächsten Morgen wieder ab, um von Neuem zu beginnen. Ohne die Geister des alten ist das neue Bild für ihn nicht denkbar.
»Ich glaube, um ein großes Bild zu schaffen, muss man beim Schaffensprozess ein gutes zerstören«, erklärt er. »Nur ein schlechtes Bild dabei zu zerstören, reicht nicht.« Mit dieser etwas rätselhaften Äußerung nimmt Auerbach sicher Bezug auf die eigene Sisyphos-Methode. Denn auch wenn er noch so sorgfältig kratzt, bleiben doch immer noch Spuren von der alten Komposition. Ein Substrat sozusagen, das er am nächsten Arbeitstag wieder aufgreift und weiterführt, sich so immer ein Stückchen weiter der eigenen Erfahrung annähert.
Selbst wenn es manchmal so aussieht – mit leichter Hand und großer Geste ist keines der Bilder in Bonn gemalt. Zwar zeigen sie ein und den selben Ort immer wieder im neuen Licht, doch geht es dabei niemals um eine Momentaufnahme. Und wenn man die Gemälde expressiv nennt – wie es öfters geschieht –, dann trifft dies allenfalls mit Einschränkungen zu. Denn Auerbach geht es nicht um Passionen, er will Dinge malen. Nicht um ihrer selbst willen und nicht um der Gefühle willen, die sich damit verbinden. Das Sujet solle seinem eigenen neuen Bild Nahrung geben, meint der Maler. Denn, so Auerbach, was er zu erschaffen suche, sei ein unabhängiges Bild, das es vorher nicht gegeben habe. Ein Bild, das »in die Welt hinausbricht wie ein neues Monster«.
Kunstmuseum Bonn, bis 13. September 2015, Tel.: 0228 / 776260