Einmal kreist die Kamera lange um Edouard, so wie es sich in seinem Kopf dreht, wenn er Namen, Gesichter, Daten, Zusammenhänge nicht behält und durcheinanderbringt. Er liest immer dasselbe Buch, stellt die immer gleichen Fragen, ist im Heute verloren und im Gestern zu Hause. Die Zeiten verschwimmen auf seiner inneren Leinwand. Der Film, dem das Theaterstück von François Archambault zugrunde liegt, hat eine leise und leichte Trauer.
Das Gedächtnis von Edouard (Rémy Girard) schwindet. Als ihn, den emeritierten Geschichtsprofessor in Québec, und seine Frau Madeleine, die nun eher seine Aufpasserin und Pflegerin ist, das Fernsehen porträtiert, wettert er gegen die Blödheit und Banalität der Gegenwart, die sich ihm ohnehin verflüchtigt, während die Vergangenheit ihm exakt vor Augen steht und in seinem Kopf präsent ist. Was für einen Historiker als wandelndes Archiv durchaus angemessen erscheint.
Edouard klammert sich an Madeleine (France Castel) als Bezugsperson, deren wenn auch nur kurze Abwesenheit ihn aus dem Konzept und seinen Gewohnheiten bringt. Aber dann entscheidet sie sich für ihr eigenes Leben. Als sie ihn verlässt, sagt er in einem lichten Moment: »Wenn Du es schaffst zu gehen, bleib lieber ganz weg.«
Tagesabläufe mit Zwischenfällen
Was aber soll mit Edouard geschehen? Der Freund von Edouards und Madeleines Tochter Isabelle, die Journalistin ist, bringt seine eigene Tochter Bérénice aus einer früheren Beziehung dazu, sich um Edouard zu kümmern. Die Tagesabläufe sind fragil und so, dass es nicht ohne Zwischenfälle abläuft.
In seiner Aufsicht und Helferin Bérénice (Karelle Tremblay) meint Edouard seine zweite Tochter Nathalie zu erkennen, die sich mit 19 Jahren umgebracht hat; Bérénice spielt für ihn deren Rolle, als sei sie ihm eine Traumerscheinung. Er wollte nach dem Suizid nicht mehr an sie denken, sie aus seiner Erinnerung drängen. Doch nun kehrt sie – verwandelt – wieder. Und so darf es uns vorkommen, als würde dieser frühe Versuch der Eliminierung des Schmerzes eines Vaters um sein Kind mit seinem jetzigen Krankheitsprozess in Verbindung stehen, natürlich nicht im medizinische Sinn, aber vielleicht auf der symbolischen Ebene.
»Du wirst mich in Erinnerung behalten«, ohne äußeren Aufwand, aber mit zärtlichem Gefühl für seine Figuren von Éric Tessier inszeniert, beschönigt nichts, auch wenn gewissermaßen mildes Herbstlicht auf die Geschichte fällt.
Es werden furchtbare, lieblose, verzweifelte, unverantwortliche, dennoch nachvollziehbare Sätze gesagt. Gegen Ende findet Edouard noch zu hellsichtigen Gedanken, wenn er die allgemeine Informations-Konfusion, die seine ihm schon entrückten Zeitgenossen, unser Kollektiv von Gegenwartsmenschen, »zu Opfern des ewigen jetzigen Moments« erklärt, beschreibt und beklagt. Ein Opfer wie er selbst auch, nur anders. Es sind Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Sie gehen uns alle an, so oder so, denn auf die Gnade mentaler Intaktheit lässt sich nur hoffen.
»Du wirst mich in Erinnerung behalten«, Regie: Éric Tessier, Kanada 2020, 105 Min., Start: 7. Dezember