Flächenfraß, versiegelte Stadträume, zu wenig Grün. Investorenarchitektur, die auf ihre Vermarktbarkeit, aber nicht auf die lebenswerte Gestaltung unserer Städte ausgerichtet ist. Ja, das alles wird es auch in Zukunft noch geben. Aber in gewisser Weise kommt ein Buch, das im Rahmen der Landesinitiative Baukultur NRW entstanden ist, dann doch zur rechten Zeit. Es ist zufällig in einer Phase des zwangsläufigen Stillstands erschienen. Ob sie genutzt werden wird, um unseren Umgang mit Ressourcen zu überdenken? Sicher ist: Tim Rieniets, Professor für Stadt- und Raumentwicklung an der Leibniz Universität Hannover, und Christoph Grafe, der als Professor für Architekturgeschichte und -theorie an der Universität Wuppertal lehrt, haben interessante Umnutzungsbeispiele (nicht nur) aus NRW zusammengestellt, die zumindest zeigen, was sein könnte. Die vor Augen führen, dass Altbauten Inspiration sind. Und Rohstofflager.
Vom Wiener Architekten Georg W. Reinberg stammt die Faustformel, dass allein der Bau eines Wohnhauses mehr Energie verbraucht, als die Bewohner während seiner gesamten Lebensdauer darin benötigten. »Energieeinsparung mit Neubauten ist grundsätzlich nicht möglich«, sagt auch der Experte Günther Moewes, der lange an der FH Dortmund lehrte. Alle Neubauten würden immer das Bauvolumen und den Energiebedarf erhöhen, selbst wenn es Niedrigenergie- oder Passivhäuser sind. Wer also wirklich Energie sparen will, baut kein neues Haus, sondern ein altes um – so wie in Hürth.
Haus Blau in Hürth
Hier war 2011 eines der interessantesten Einfamilienhäuser in NRW entstanden (unseren Hausbesuch finden Sie hier). In knallblau. Nur wenige Quadratmeter groß und dennoch geräumig. Unkonventionell, aber nicht avantgardistisch. Denn Sirit und Dirk Breuer hatten das Kölner Büro BeL engagiert, ein kleines Siedlungshaus aus den 50ern Jahren umzubauen, zu erweitern, völlig neu zu denken – ohne seine Geschichte auszuradieren. Gleich dreimal wurde es daraufhin ausgezeichnet, unter anderem mit dem Architekturpreis NRW. Der Band zeigt auch ein kleines Siedlungsgebäude aus den 20er Jahren am Stadtrand von Aachen, das die Eigentümer durch einen zweigeschossigen Anbau erweiterten. Die ursprüngliche Ästhetik des Gebäudes wurde so nicht wegsaniert, sondern offengelegt – mit all seinen dazwischenliegenden Veränderungen und Zeitebenen.
Dass »Kontinuität einmal eine Qualität von Architektur« war, daran erinnert Markus Jager in seinem Beitrag, in dem er an das alte Prinzip des Umbauens, Weiterbauens und Wiederverwendens erinnert, das erst im 20. Jahrhundert verloren gegangen sein. Wenn also Rieniets und Grafe von einer »Architektur des Veränderns« schreiben, dann ist mit ihr auch eine des Bewahrens gemeint. Beispielhaft haben sie etwa nach Lünen geschaut, wo ein umgenutztes Kaufhaus nun das Stadtzentrum wiederbelebt oder die neugotische Bochumer Marien-Kirche zum Foyer für den neuen Konzertsaal des Anneliese Brost Musikforum Ruhr wurde. Wie sich das Königliche Oberbergamt in Dortmund erst zum Museum am Ostwall und schließlich zum Baukunstarchiv NRW wandelte. Oder eine alte Samtweberei in ein neues Zuhause für viele Familien in Krefeld. Umbau als Kulturleistung, Bestand als Ressource und Inspiration – NRW könnte mehr Beispiele dieser Art gebrauchen…
»Umbaukultur. Für eine Architektur des Veränderns«, Hrsg. von Baukultur NRW/Christoph Grafe/Tim Rieniets, Verlag Kettler, 256 Seiten, 34 Euro