Als die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 mit einem Satellitenbild Europas warb, auf dem, neben London und Paris, das Ruhrgebiet als dritter großer Lichtklecks zu sehen ist, waren die Reaktionen geteilt. Die einen sahen sich als stolze Metropolenbewohner bestätigt, die anderen waren skeptisch. Das Revier, dieser polyzentrische Städtehaufen, soll vom All aus sichtbar sein? Geht das überhaupt? Ja, das geht. Da das Ruhrgebiet flächenmäßig einiges hermacht – 4.435 Quadratkilometer Fläche, auf der 5,2 Millionen Menschen leben – gibt es genug davon, so dass es sogar die Topossphäre erreicht. Licht, das Mensch und Umwelt belästigt und, nicht nur in großen Städten, den nächtlichen Sternenhimmel auslöscht.
Diese Masse an Licht muss irgendwie gesteuert werden; keine leichte Aufgabe, wie Dennis Köhler bestätigt, was ihn aber nicht davon abhält, es dennoch zu versuchen. Köhler ist Architekt und Raumplaner, hat an diversen Forschungsprojekten in Sachen Lichtplanung in Deutschland und Japan gearbeitet und leitet aktuell die Forschungslinie »Licht_Raum« am Fachbereich Architektur der Fachhochschule Dortmund. In seinem Büro mit sensationeller Aussicht auf die Lichtschleudern Westfalenstadion, den Florian-Turm, die Hochhäuser der Innenstadt und das Dortmunder U hängen Luftbilder der nächtlichen Städte Castrop-Rauxel und Lüdenscheid. Das sind Köhlers aktuelle Forschungsprojekte. Was zeigt, dass es nicht nur die großen Städte sind, die eine Lichtplanung nötig haben. In Köhlers Forschung geht es um die künstliche Beleuchtung öffentlicher Räume, und wie man es schaffen kann, diese Beleuchtung unter sozialen, ökologischen und nachhaltigen Aspekten zu steuern und zu gestalten. Dabei werden alle Arten des Lichts berücksichtigt wie Straßenbeleuchtung, Werbeschilder, Industrieanlagen und angestrahlte Gebäude.
Keine Romantisierung
Köhler setzt bei seiner Forschung auf die Gesamtheit. »Es geht nicht um die Romantisierung von altindustriellen Artefakten mit bunten Lichtern«, sagt er. Obwohl es damit eigentlich anfing. Die Wurzeln von »Licht_Raum« reichen zurück bis zur IBA, der Internationalen Bauausstellung Emscherpark. In den 1990er Jahren plante der Architekt Manfred Walz, der ebenfalls im Fachbereich tätig ist, für die IBA das Projekt »NachtTagPanorama«, das Erhebungen wie die Halde Schwerin in Castrop-Rauxel zum Beobachtungsposten der Lichtlandschaft Ruhr ausrief und Bewusstsein dafür schaffen wollte, das Ruhrgebiet als Einheit zu sehen. Er hat auch den Forschungszweig »Licht_Raum« mit angeschoben und ist neben Dennis Köhler und Stefan Hochstadt einer der Herausgeber des Buches »LichtRegion – Positionen und Perspektiven im Ruhrgebiet«, das in Zusammenarbeit mit der RWE-Stiftung entstanden ist.
Das Werk versteht sich als »Arbeitsbuch« und »Experiment« und bündelt die Forschungsergebnisse der letzten Jahre. Dabei gehört es nicht zu den schwer verdaulichen Fachbuchbrocken, sondern wirft differenzierte Blicke auf das Thema Licht. Zu Beginn steht ein Gespräch zwischen Dennis Köhler, Manfred Walz und dem Künstler Mischa Kuball über die »Verwendung von Licht als künstlerische Intervention in regionalem Kontext« am Beispiel von Kuballs Projekt »Yellow Marker«, das mit zwei Lichtinstallationen (im Westen: Bönen, im Osten: Kamp Lintfort) dem Ruhrgebiet eine nicht sichtbare Klammer gibt. Walz stellt sein »NachtTagPanorama« genauer vor; hinzukommen u. a. Texte über die gesundheitlichen Auswirkungen des nächtlichen »Lichtmülls« auf den Organismus, ein abendlicher Gang durch die Metropole Tokio und ein Selbstversuch von Rainer Guski über das Dämmerungssehen. Sein Standort ist der Bochumer Tippelsberg, von dem er auf das dämmernde Revier blickt und beschreibt, wie das Auge reagiert und sich die Wahrnehmung ändert.
Lichtmetropole Ruhr
Zur Forschungsarbeit der vergangenen Jahre gehören auch die Luftbilder des nächtlichen Ruhrgebiets von Hans Blossey, die jetzt im Mittelteil eine spektakuläre Bildstrecke abgeben und vor allem deutlich machen, dass die Lichtmetropole Ruhr eine Ansammlung von Stadtkernen ist, verbunden durch die Lichtbänder der Ausfallstraßen und Autobahnen, getrennt durch die Schwärze der Grünflächen. Hier hat man glücklicherweise auf Heimatfolklore verzichtet und zeigt nur selten beleuchtete Industrie, und wenn, dann merkwürdig unwirklich wie das glimmende Möbellager bei Dortmund.
Dennis Köhler und seine Mitstreiter wollen mit dem Buch Interesse am Thema wecken, nicht nur beim lichtemittierenden Normalbürger, sondern auch in Wirtschaft und Politik. Das allein reicht aber nicht; Ziel ist, ein Bewusstsein für nachhaltige Lichtplanung zu schaffen und Aufklärung zu betreiben. Bei der Gelegenheit tadelt Köhler gern auch jene Bürgermeister, die vom beleuchteten Landschaftspark Duisburg-Nord so begeistert sind, dass sie so etwas auch gern haben wollen und beginnen, ihre Dorfkirche bunt anzustrahlen – sinnloses Licht, und zudem historisch völlig falsch. Wenn, dann müsste Fackelschein die Kirche von innen erleuchten. Aufklärungsbedarf sieht Köhler auch anderswo: wenn als Event Parks und Bäume angestrahlt und Fauna wie Flora beeinträchtigt werden. Oder wenn in Straßenlaternen orangefarbenes Licht eingesetzt wird, was zwar eine gewisse Heimeligkeit erzeugt soll, aber gerade in Problemvierteln zu noch mehr Unbehagen führt. Würde stattdessen bläuliches Licht eingesetzt, würde man entgegenkommende Personen viel schneller und besser erkennen.
Aber lässt sich so etwas steuern? Bei großen Bauprojekten ist es schneller möglich als bei Lieschen Müller aus Bochum, die man eben nicht zwingen kann, das Licht auszumachen. Dieser Problematik ist sich Köhler durchaus bewusst: »Licht ist völlige Anarchie, ohne eindeutige Rechtslage. Wenn sie bei einem fremden Haus einen Eimer Farbe auf die Wand kippen, ist das Sachbeschädigung, wenn sie das gleiche Haus mit farbigen Dias anstrahlen, passiert ihnen überhaupt nichts.« Auch wenn seine Arbeit scheinbar aussichtslos ist und sich mit etwas nicht Greifbarem beschäftigt – so müssen wir uns Dennis Köhler dennoch als einen glücklichen Menschen vorstellen. Ansatzpunkte für seine Arbeit bietet das gegenwärtige Revier genug. Thomas Hackenfort hat es in einem Beitrag des Buches so formuliert: »Das Ruhrgebiet erprobt die Verwirklichung des Besonderen mit den Mitteln des Unspezifischen.«
Dennis Köhler / Manfred Walz / Stefan Hochstadt (Hg.): »LichtRegion – Positionen und Perspektiven im Ruhrgebiet«Klartext Verlag, Essen, 2010. 240 S., 24,95 Euro
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