Den stärksten Eindruck auf ihn hätten der Betrieb und das Gedränge auf den Straßen gemacht, antwortet der Bochumer Künstler Matthias Schamp auf die Frage nach seinen Türkei- Erfahrungen. Dass vor dem Kunstertrag erst einmal die touristische Alltagswahrnehmung liegt, bestätigt auch das spiegelbildliche Geständnis von Schamps Istanbuler Kollegin Elif Çelebi: Sie und die anderen türkischen Künstler seien alle sehr imponiert von der Stille, die in Deutschland herrsche. Rund zwei Monate hatten sieben deutsche und sieben türkische Künstler im je anderen Land zugebracht, als Stipendiaten des NRW Kultursekretariats (Wuppertal) im Rahmen von »Transfer« (siehe K.WEST 7/8.2006). Nun, zum Abschluss der siebten Ausgabe dieses seit 1990 bestehenden Künstleraustauschprogramms, sitzen Schamp und Çelebi im Bochumer Museum, wo Werke aller Beteiligten in der Zusammenschau zu sehen sind.
Im Gespräch mit K.WEST vor gut einem Jahr hatten die türkischen Künstler beinah vehement darauf bestanden, dass ihr Kunstverständnis mit dem des Westens gleichauf sei. Was das Bochumer und zwei weitere Museen in NRW – Aachen und Münster – nun zeigen, bestätigt diese Selbsteinschätzung vollkommen. Auch wenn die Kunstszenen in Deutschland und der Türkei sich organisatorisch stark unterscheiden, ästhetisch sind sie eng verwandt. Und qualitativ gesehen gibt es keinerlei Gefälle, schon gar keine Stufe abwärts von West nach Ost. Im Gegenteil: Die präsentierte Auswahl (die natürlich nicht repräsentativ für die beiden Länder sein kann und will) zeigt die größere Stärke eher bei den türkischen Künstlern an.
Die dagegen in ihren Werken die schwächeren Reflexe auf den »Transfer«-Transfer zu erkennen geben: am stärksten noch bei Aksel Zeydan Göz’ rätselvoll starkem Experimental- Animationsfilm »Mitfahrgelegenheit« oder der zusammen mit Yasemin Özcan Kaya entstandenen Fotoinstallation »tr-answer« (die türkische Kramlädenschaufenster in Deutschland nachbildet). Sener Özmen hingegen ironisiert in seinem Absurdvideo »Road to Tate Modern« die eigene Kunstszene, Ferhat Özgür wirft trübe Dokumentarfotoblicke auf urbane Lebensformen am Bosporus, Cengiz Tekin pointiert türkische Hausund Familienszenen (dito fotografisch) und Burak Delier attackiert in seinen Foto-Szenen die politische Lage seines Heimatlandes zwischen Islamismus, Westausrichtung und Militär. Während Elif Çelebi in leicht elegischen Tierbildern schwelgt, in denen Umrisszeichnungen etwa einer Ratte oder eines Affen in rorschachtestähnlichen Farbfeldern lagern.
Direktere Erträge des Künstleraustauschs liefern da die deutschen Beiträge – aus welchem Grund auch immer –, etwa in Stephan Mörschs detailgenau gearbeiteten Puppenhäuschen, die verfallene historische Holzbauten in Istanbul en miniature nachbilden, wobei eine Kamera Bilder aus dem Inneren überträgt. Auch die Münsteranerin Anja Jensen hat auf den großformatigen Starkfarbfotos, die ihre Eigenart sind, inszenierte Unwirklichkeiten aus Ankara oder Diyarbakir mitgebracht. Max Sudhues und Eva-Maria Kollischan mit ihren Videos fangen Bosporus-Weite und Istanbul-Gedränge ein, und Matthias Schamp in seiner kulturironischen Installation »Mythos Grill« sammelt den kulinarischen Export der Gastarbeiternation Türkei in seine Friteusensammlung oder spießt ihn auf als Pommesgabeln- Wolkenbild.
Die hier knapp beschriebenen Arbeiten – es überwiegt das Foto, gefolgt vom Video – sind alle im Museum Bochum zu sehen, jedoch ist die Ausstellung »Transfer« so angelegt, dass sämtliche Künstler in allen drei Häusern vertreten sind. Im Dezember wandert die Gesamtschau nach Istanbul ins frisch in einem ehemaligen Industriegelände errichtete Kulturzentrum santralistanbul. //
Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen (14.9.–4.11.2007); Museum Bochum (15.9.–4.11.2007); Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster (16.9.–25.11.2007). »Journal« mit »Journal« mit Fotos der und Texten zu en Arbeiten 9 €. www.nrw-kultur.de