Es gehört zum Comte Balthasar Michel Klossowski de Rola, dass er es uns nicht leicht macht. Angefangen bei seinem klingenden Namen, dessen Adelstitel nicht sehr Gotha-fest steht. In deutschen Museen ist er nicht vertreten, war es auch bisher nicht durch Ausstellungen. Auskünfte über sein für Interpreten verlockendes, weil vieldeutiges, anspielungs- und beziehungsreiches Werk einer gelehrten Malerei hat er verweigert. Er zog die Anonymität vor. Religion sei das, was er betreibe. Wahlweise sprach er von seiner »persönlichen Mathematik«. Wir werden darauf zurückkommen, ob seine Modelle und Motive im Schatten junger Mädchenblüte als reine »Engel« gelten können, denen ihr Maler dezent obsessiv huldigt. Oder ob sich in der nach klassischen Grundmustern entworfenen geometrischen Gliederung der Leinwand ihr Schicksal erfüllt.
Früh ließen sich gewichtige Stimmen vernehmen, die ihn, der sich Balthus nannte – so wie seine Mutter Elizabeth Dorothea Spiro, ebenfalls Malerin und Freundin Rilkes, als melodischen nom de plume Baladine trägt –, auf seinem künstlerischen Weg bereiten und begleiten. Rilke, lyrischer Künder der Kreatur und Bescheidwisser im Zwischenreich der Engel, stiftet 1921 das Vorwort für ein Buch des damals 13- Jährigen, der mit »Mitsou – vierzig Bilder von Baltusz« eine poetische Katzen- und Familienfibel veröffentlicht. Der 1908 geborene, in Paris, Berlin und der Schweiz aufgewachsene Sohn aus Breslau stammender Eltern wird die Katze, die viel besser in die sagenhafte Welt der Mythologie gehört, zum Hausgeist seiner Bilder und Biografie machen. So wie er ohnehin seinem Stil und seinen Sujets ein Leben lang die Treue hält. Neben dem Dichter der »Duineser Elegien« findet Balthus einen ganz anders gearteten Propagandisten. Im Kontext der ersten Einzelausstellung, die 1934 die Galerie Pierre (Loeb) in Paris für Balthus ausrichtet und damit Skandal macht, publiziert Antonin Artaud eine Analyse. In ihr sagt er Gültiges über das noch junge Werk. Verweisend auf die wesentlichen Bezugspunkte und Inspirationsquellen: »die Maltechnik aus der Zeit eines David«, also des französischen Klassizismus, sowie auf »die religiösen Maler der Renaissance «, voran Piero della Francesca und auch Paolo Uccello. Nicht unerwartet fällt bei Artaud das Wort »Grausamkeit«, bezogen auf Balthus’ Eindringen in das »Geheimnis eines Körpers, der sich in seiner Geschlechtlichkeit mit aller Rauheit offenbart«, um in den weiblichen Akten zugleich die Aufforderung zur Liebe zu erkennen, ohne deren Gefahren zu verheimlichen. Und noch etwas erkennt Artaud, den Balthus neben etlichen Angehörigen der Gesellschaft und Kunstszene porträtieren wird, um es in den prägenden Begriff »Organischer Realismus« zu fassen. Unabhängig vom Surrealismus und einer abstrakten Malerei, verbleibt dieser Einzelgänger in splendid isolation, charakterisiert sich als »Realist des Irrealen und figurativ in Bezug auf das Unsichtbare« und entspricht dem Diktum mit Konsequenz und höchster Präzision. Balthus, der an einem 29. Februar zur Welt kam und somit nur alle vier Jahre Geburtstag feierte, arbeitet und lebt, als sei er aus der Zeit gefallen. Er bekennt, das Moderne zu verachten, fühlt als aristokratischer Dandy und spürt die »königliche Herrlichkeit« seiner Bedeutung. Entsprechend wird er im schweizerischen Rossinière ein formvollendet schönes Chalet von 1754 erwerben, in dem er mit seiner zweiten Frau Setsuko residiert und sich in die Zeit des ancien régime und Feudalismus zurück träumt. Henri Cartier-Bressons Fotografien legen davon Zeugnis ab. »Aufgehobene Zeit« nennt das Museum Ludwig doppelsinnig im Geiste des Bewahrens und des Gesetzes der Endlichkeit die von Sabine Rewald (Metropolitan Museum, New York) und Kasper König kuratierte Ausstellung mit etwa 25 Gemälden und 45 Zeichnungen von 1932 bis 1960, zu der Museen und Sammlungen vor allem aus den USA, Frankreich und der Schweiz Leihgaben beigetragen haben. Kompakt verteilt und gehängt in einem einzigen – durch Zwischenwände dreigeteilten – Saal nebst einem Kabinett für die Zeichnungen, trifft einen die ganze Wucht des OEuvres, das sich dem Betrachter »ideologiefrei « (König) darbieten soll. Ein Jahr später, 1961, ernennt de Gaulles Kulturminister André Malraux den Künstler zum Direktor der Académie de France in Rom, die in der Villa Medici ihren repräsentativen Sitz hat. Ein Jahr darauf wiederum lernt Balthus in Japan Setsuko Ideta kennen, die er 1967 heiratet. Die drei Jahrzehnte umspannende Werkschau nimmt die kreativste Phase von Balthus in Augenschein, in der seine Epoche machenden Arbeiten in ihrer scharf konturierten, betörenden Oberflächlichkeit entstanden. Dazu zählen die nur sieben Bilder, die bei dem unter Verkaufsaspekten katastrophalen Debüt, das 1934 Balthus’ persönliche, in einen Suizidversuch mündende Krise mit verursacht, in seiner Geburtsstadt Paris für Sensation sorgten. Darunter »La Rue« – heute im Museum of Modern Art, wo man lange zögerte, diese Schenkung der Öffentlichkeit zuzumuten, obgleich vom Maler selbst entschärfend überarbeitet. In ihrer aggressiv erotischen Aufladung verursacht die scheinbar harmlose Straßenszene aus Saint- Germain-des-Prés, die Balthus »mein erstes wichtiges Bild« nennt, einen Schock. Während ein Bäcker, ein Bauarbeiter und eine Nurse mit einem Kind von stumpfem Stan-Laurel-Gesicht ihrer Wege gehen, treiben es zwei Zwillingsburschen arg und greifen sich zwei Mädchen, der eine zupackender, der andere wie ungewollt im Vorüberstreifen.
Eine weitere Gasse desselben Quartiers malt Balthus 20 Jahre später mit »Le Passage du Commerce- Saint-André«: Die Figuren sind nun ganz und gar isoliert, als seien sie einem Roman der Patricia Highsmith entliehen, gleichen sich den müden Farben der Fassaden an, während der Maler selbst in Rückenansicht das Verschwinden propagiert. Das für Balthus berühmte gedämpfte Licht, hier wirkt es geradezu dumpf. Die Ur-Szene der »Rue«, von einer Zeichnung Heinrich Hoffmanns ebenso beeinflusst (und allein darin schon sexualpathologisch konnotiert) wie von Piero della Francescas Bildaufbau, erinnert bereits an Lewis Carrolls »Alice hinter den Spiegeln« – in Personal, Fetischisierung und verpönter Begierde. Balthus beschäftigt sich explizit mit dem Buch; ein weiteres 1933 entstandenes Gemälde betitelt er »Alice«: Ein Mädchen – blass, grau-grün-beige wie bei Christian Schad – präsentiert sich sinnlich drastisch dem Blick; den einen Fuß auf einen Stuhl gestellt, sich das Haar kämmend, eine Brust entblößt (häufig wiederkehrende Topoi) und ihr Geschlecht unterm knappen Rock hervor lugen lassend. Letzteres ebenfalls ein erotisches Signal, mit dem Balthus an sein Geheimnis der Welt rührt und es aufdeckt. Exemplarisch steht dafür das 1934 auch in Paris ausgestellte Gemälde »Cathy bei der Morgentoilette «. Balthus platziert sich darauf (in Anspielung auf den Heathcliff in Emily Brontës Roman »Wuthering Heights«) selbst: halb sich abwendend von der galanten Situation einer schönen Nackten, die von ihrer Bediensteten frisiert wird. Die Begegnung spiegelt das komplizierte Verhältnis von Balthus zu der von ihm umworbenen Antoinette de Watteville. Die beiden hatten sich kennen gelernt, als sie zwölf und er 16 Jahre alt sind. Im Briefwechsel spricht er von seiner »Fee«, sie vom »König der Kobolde«. Sie heiraten 1937, die Ehe zerbricht nach einem Jahrzehnt. Auch »Die Gitarrenstunde« ist 1934 schon zu besichtigen – im aufreizenden Gestus nicht weniger provokativ und ein Schlüsselwerk des Jahrhunderts wie Strawinskys zwei Jahrzehnte zuvor komponierter »Sacre« oder Buñuels surrealistische Filmphantasien. Noch 1984 blieb dieser von Balthus eifersüchtig gehütete bildnerische Fremdkörper von Retrospektiven in New York und Paris fern, bevor man ihn 2001 in Venedig sehen durfte. Eine Frau mit aufgestellter nackter Brust hat ein Mädchen quer vor sich auf dem Schoß liegen, zerrt es am Haar und streichelt es mit der anderen Hand am Oberschenkel bzw. scheint auf der zarten Haut Saiten zu streichen wie bei dem titelgebenden Instrument, das vor dem Paar am Boden liegt. Das Bild enthält mehrere Verweise: neben der sadomasochistischen Inszenierung und magischen Atmosphäre rekurriert es eindeutig ikonografisch auf die Schmerzens-Pietà und ebenso auf die Schule von Fontainebleau, die »Gabrielle d’Estrées und einer ihrer Schwestern« beim tändelnden Spiel im Bade belauscht.
Auslöser des Faszinosums der Beunruhigung, der Bedrohung und des Unbehagens von Balthus’ Jung-Frauen wie seinen Modellen Thérèse Blanchard und Frédérique Tison ist die Anmutung einer in sich versunkenen, autosuggestiven, absichtslos exhibitionistischen Pose. Muss deren Haltung als kalt, gleichgültig oder gar verächtlich gelten? Sind sie Objekt, Opfer (der bleiche Akt von »La Victime«, 1939-46), Gefangene der Leinwand, deren Vorbilder in späterer Zeit von Balthus fotografiert werden? Symbolisieren sie das Vorweibliche und mithin eine offene Zukunft? Fixieren sie Initiationsriten, sind es Momentaufnahmen, die Erinnerung speichern, das Verschwinden arretieren und zugleich dokumentieren? Oder haben wir es zu tun mit frühreif- pubertären belles dames sans merci? Die süße Gewalt, die diese Geschöpfe in aller Unschuld, weder affektiert noch schnippisch, verkörpern, tritt aus dem Bild heraus und gestaltet die Beziehung zum Betrachter. Melancholie weht uns weniger von den sanft brutalisierten Bildnissen an, als Sättigung und Mattigkeit, genährt von der Erwartung anstrengenden Erwachsenseins.
Es sind Beschwörungen eines Paradieses, des imaginären Nimmerlandes Kindheit, in dem der verbotene Garten der Lüste blüht. Dass ein jeder dieser »Engel« schrecklich ist, wird Balthus nicht erst von Rilke gelernt haben. Der monomane »Blaubart« (Albert Camus) hat theaterhafte Wunschbilder gemalt, untergründig und abgründig in ihrer gewissermaßen pietätvollen Perversion des Begehrens. Balthus, der sein umdunkeltes Gemälde »Das Zimmer« mit einer Nackten, auf die durch einen beiseite gezogenen Vorhang Licht fällt, aus mehr als einer Laune heraus »Bonaparte entdeckt die fruchtbaren Ebenen Italiens« nennen wollte, ist auch ein Landschaftsmaler des Körpers. Die Mädchen, seine »Nymphchen«, sind Zimmerpflanzen. Stehen an Fenstern wie Diven im Melodram, liegen in Sesseln vor Matisse-Tapisserien, hingestreckt wie unter dem Einfluss von Goya oder Füssli, reiten auf Sofas, rekeln sich in Betten, beschäftigen sich in seltsamen Ritualen mit zweiten Personen, treiben es bunt vor Spiegeln, in denen sie das Rätsel der Sinnlichkeit suchen, sind von einer Tasse Kaffee und anderen Gegenständen des Alltags nahezu höhnisch umstellt, werden von Katzen beäugt. Lesen, baden, träumen. Mit Nabokovs »Lolita« sind sie nur weitläufig verwandt; näher vielleicht mit Julien Greens Heldinnen, dem menschlichen Treibgut der ans Fatum gebundenen, von Moiren gejagten Liebeswahnsinnigen, die nie aus dem Auge Gottes gelassen werden. Unschuld und Sünde haben bei ihnen miteinander zu schaffen – beides sind theologische Kategorien. Insofern hat Balthus nicht unrecht, wenn er sein Kunstschaffen zum Hochamt erklärt, als wären seine Bilder »unanswered prayers«.
Dieser Connaisseur schaut bei seiner Arbeit über die Schulter zurück auf die Kunstgeschichte und variiert virtuos deren Traditionen, ob sie von Georges de la Tour, Ingres und den Rokoko-Pastellen Bouchers, ob sie von Courbet oder Morandi, den Voyeuren Degas, Toulouse-Lautrec oder Schiele stammen. Eine andere Nebenlinie führt über Schlemmer, Kokoschka, Duchamp und Bellmer hin zu den Gliederpuppen, von denen wir seit Kleist wissen, dass sich in ihnen Anmut und Grazie des Unbewussten manifestieren. Es ist dieser Balthus, der anfangs als Autodidakt auf Anraten von Pierre Bonnard, Maurice Denis und André Derain den Meister Poussin im Louvre und unterwegs in Italien die Fresken kopierte, deren Materialität und Technik studierte und später anwendete, der sich auch in seinen überdeutlich der Kunsttheorie verpflichteten Landschaften auf die Renaissance beruft, auf das japanische Shunga-Genre oder auf Hokusai. Als könne er sich im Bildzitat verbergen, könne hinter seinen von ihm oft über mehrere Jahre hin zur Vollendung gebrachten Bildern verschwinden, so wie er es auf seiner »Gasse« vorgemacht hatte. //
Museum Ludwig, bis 4. November; Katalog, 165 S. mit zahlreichen Farbtafeln und Abbildungen, 58 Euro, Verlag Schirmer/Mosel, München. Tel. 0221 / 221-26165.www.museenkoeln.de/museum-ludwig