TEXT: GUIDO FISCHER
2009 veröffentlichte Alice Sara Ott ihre erste CD bei einem Traditions-Label. Mit ihren 21 Jahren wollte sie beweisen, was an Potenzial in ihr steckt. Auf dem Programm standen die brutal schweren »12 Études d’exécution transcendante« von Liszt. Mit den Show-Stücken auch die Studio-Karriere einzuläuten, war durchaus ein Wagnis. Zumal manch einer mutmaßte, dass sich hinter der Jungpianistin mit den leicht asiatischen Zügen wohl nur wieder eines dieser fernöstlichen Tasten-Dressur-Objekte verberge.
Aber Alice Sara Ott, in München geborene Tochter einer Japanerin, zeigte es allen Zweiflern mit Bravour und Verve. Die spieltechnischen Marterstrecken legte sie in atemberaubender Natürlichkeit hin. Und bot eine verblüffende Farbskala, die man bei den Liszt-Reißern so nicht vermutet hätte. Letzte Skeptiker erkannten in ihr dann die ernsthafte Künstlerin, als Ott mit Chopin-Walzern, Beethoven-Sonaten und Klavierkonzerten von Tschaikowsky und Liszt nachlegte, ohne sich aufs Virtuosen-Parkett locken zu lassen. Heute konzertiert sie global, gastiert etwa beim Chicago Symphony Orchestra oder bei den Philharmonikern ihrer Geburtsstadt.
Dass sie so weit gekommen ist, verdankt sie neben Talent auch ihrem Dickkopf. Dreijährig schon wollte die Frühbegabte Pianistin werden. Ihre Mutter, die selbst als Konzertpianistin Höhen wie Tiefen miterlebt hat, war von dem Wunsch nicht begeistert. Aber mit vier Jahren bekam die Tochter doch den ersten Klavierunterricht – und spielte bereits nach kurzer Zeit Wettbewerbs-Erfolge u.a. bei »Jugend Musiziert« ein.
Nach Lehrjahren beim legendären Pädagogen Karl-Heinz Kämmerling in Salzburg und weiteren Wettbewerbs-Trophäen ging es flink weiter. Mit 17 wurde sie zum Klavier-Festival Ruhr eingeladen, um kurzfristig für die erkrankte Kollegin Elena Bashkirova einzuspringen. 2008 unterzeichnete Ott einen Exklusivvertrag bei der Deutschen Grammophon. Für ihre Einspielungen bekam sie auch die obligatorischen Auszeichnungen wie den ECHO-Klassik.
Trotz Erfolg und Anerkennung verlässt sie gelegentlich die ordentlich geregelte Laufbahn und geht ungewöhnliche Kooperations-Wege. Mit ihrem luxemburgischen Klavierkollegen Francesco Tristano hat sie vierhändig Strawinskys »Le Sacre du printemps« eingespielt und zudem ein Techno-lastiges Stück von Tristano selbst. Jüngst erst mit dem isländischen Pop-Musiker Ólafur Arnalds ein etwas anderes Chopin-Album veröffentlicht, für das sie sich an ein Bar-Piano gesetzt und darauf auch ein wenig improvisiert hat. Manchen Momenten bei dem elektro-akustischen Nostalgietrip mag es vielleicht hier und da an Substanz mangeln. Aber mögliches Scheitern nimmt die sehr neugierige 26-Jährige gern in Kauf: »Sich nicht von kommerziellen Faktoren eingrenzen lassen zu müssen, ist das Ideal eines jeden Künstlers«.
Wenn sie zum Klavier-Festival Ruhr zurückkehrt, setzt sie ausschließlich weithin bekannte Komponisten aufs Programm, deren Werke zu absoluten Repertoire-Klassikern gehören: von Bachs d-Moll-Chaconne über Beethovens Sturm-Sonate bis zu den teuflischen Paganini-Etüden von Liszt. Doch weil Alice Sara Ott sich mit diesen Stücken schon seit langem beschäftigt und an ihnen intensiv arbeitet, erwarten uns nicht nur verblüffende Brillanz und vollendetes Formbewusstsein, sondern wahrhaft großes Klavierspiel.
Alice Sara Ott: Werke von Beethoven, Bach, Busoni, Liszt; 20. April 2015, Landschaftspark / Gebläsehalle Duisburg