Der Brite in uns kennt das Gefühl, dass Altes, ob als mit Stoff bezogener Sessel, als Tweed-Jackett oder Kashmere-Plaid, keinesfalls zu ersetzen ist gegen neue, von keinerlei Patina, Abnutzung und Erinnerung strapazierte Ware. Der in Belfast geborene und folglich mit dem Empire auf mindestens einem Kriegsfuß stehende Ire Kenneth Branagh sollte das trotzdem wissen. Zumal er schon mit »Mord im Orientexpress« vor fünf Jahren erfahren hat, was es bedeutet, gegen einen Vorläufer anzutreten, der zwar nicht seine Schnelligkeit und Stromlinienform auf-, aber dafür vornehme Gediegenheit und Gelassenheit mitbringt.
»Tod auf dem Nil« ist Branaghs zweite Neuverfilmung eines – auch im Kino – Agatha Christie-Klassikers, in der er die Rolle des Detektivs Hercule Poirot übernimmt und darin dem damals vom Alter her eine Spur jüngeren Peter Ustinov aus dem Jahr 1978 nachfolgt, nicht ohne dem belgischen ‚Brain’ das eine und andere Geheimnis und dessen Auflösung anzudichten.
Als Regisseur bleibt er dem Grundgedanken treu, dass es weniger die Story ist, als die Schauplätze und Ausstattung es sind und vor allem das Ensemble der Darsteller, mit dem sich das behäbige Vehikel in frisches Fahrwasser manövrieren und einen Fischzug an der Kasse erwarten lässt. Der durchaus ein jüngeres Publikum in den Blick nimmt, das mit quickeren, kesseren, ruppigeren Formaten und Kommunikationsstrategien und mit sehr viel weniger Understatement und kühlem Kopf per Du ist. So sehen wir nun einen Film gewissermaßen mit mehr Bein und Dekolleté, in glitzerndem Titanic-Flair und mit ihrer Persönlichkeit entleerten Charakteren.
Armie Hammer, Emma Mackey und Gal Gadot als reiche Erbin Linnet Ridgeway gehören zum Aufgebot der Verdächtigen und Opfer, als Referenz gegenüber der Kinogeschichte Annette Benning, als notwendige Rücksicht gegenüber der aktuellen Diskurshoheit Letitia Wright und Sophie Okonedo in der Rolle einer Blues-Musikerin sowie als erotische Fantasieerfüllung Tom Bateman, der in den Part des Poirot-Assistenten hineinwächst, ohne im Personenverzeichnis der Dame Christie aufzutauchen.
Es gibt ein paar sehr schöne fast bühnenhafte Szenen, modische Details der Thirties und hübsche choreografische Einlagen, die Branaghs Begabung zeigen, die fürs Musical-Genre vielleicht besser geeignet wäre. Er kommt mit den technischen Bedingungen des Studios besser klar, als mit der realen Welt, die 1978 noch den touristischen Reiz der mörderischen und kriminalistischen Nil-Fahrt ausgemacht hat. Der digitale Knopf- und Fingerabdruck hat die Regie übernommen.
»Tod auf dem Nil«, Regie: Kenneth Branagh, USA 2022, 127 Min., Start: 10. Februar