// Das Paradies ist nicht immer anderswo. Im Falle der Sammlung Rheingold liegt es nahe: im idyllischen Schloss Dyck. Die Einkehr der 900 Werke markiert einen Triumph für den Geldadel, zu dem die vier Mönchengladbacher Viehof-Brüder Bernd, Eugen, Klaus und Michael, die einstigen Besitzer der Allkauf-Handelskette, sowie die Düsseldorfer Unternehmer Helge Achenbach und Hedda im Brahm-Droege gehören. Die Ankunft des Konvoluts beehrt die Gegenwartskunst insgesamt, die sich in der Umgebung eines der schönsten englischen Landschaftsparks beweisen darf.
Zwanzig Kilometer von Düsseldorf entfernt liegt die Wasserburg, die durch ihre Großzügigkeit und Klarheit der baulichen Proportionen imponiert. Alle Alleen führen auf das einst reichs- unmittelbare Anwesen hin. Wie zu alten Zeiten muss der Besucher das letzte Stück zu Fuß gehen, über vier Brücken hinweg, an drei Vorburgen vorbei. Das Vorfahren im Auto und Parken vor der Eingangstür sind aus Brandschutzgründen verboten. Das Kleinod will auf den letzten 500 Metern wie zum Defilee oder zur Audienz abgeschritten werden.
Dieser »Solitär deutscher Schlossbaukunst«, wie das Rheinische Amt für Denkmalpflege lobt, der »letzte vollständig erhaltene Dynastensitz des Rheinlands«, gehört seit 2000 zur Stiftung für Gartenkunst und Landschaftskultur im Rheinland. Marie Christine Gräfin Wolff Metternich, geborene Altgräfin zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, trennte sich von der Immobilie und dem weitläufigen Park mit seinem kostbaren Baumbestand. Die Stifter Land, Landschaftsverband, Rhein-Kreis Neuss, Gemeinde Jüchen und RWE steuerten das nötige Geld bei, um die prächtige Anlage vor dem Verfall zu bewahren. Fünf Jahre lang genießt die Sammlung Rheingold Gastrecht. Vertraglich sichert sie zu, jährlich zwei Ausstellungen zu planen.
Unter dem leicht flapsigen Titel »Paradies und zurück« kuratiert Veit Loers die Eröffnungsschau etwas betulich, weniger sinnlich als strategisch. Das verwundert, bietet die Kollektion doch von Corinne Wasmuht bis zu Jeff Wall, von Peter Doig bis zum Zuckerhut des Georg Herold die feinsten Verlockungen. Der Garten Eden und die Vertreibung daraus, die Motive von Hoffnung und Scheitern, Unschuld und Schuld würden doch bessere Beispiele erlauben als die ausgestopften Vögel des konzeptuellen Fotografen Jochen Lempert, das Ozelotbild von Eberhard Havekost oder den verquasten Realismus eines bronzenen Che Guevara von Christian Jankow-ski, der einen spanischen Straßensteher einfach abgegossen hat. Nicht nur die Prunkräume verlangen andere Maßstäbe.
Dennoch gibt es Höhepunkte. Thomas Struth beglückt mit fünf grandiosen »Paradies«-Bildern den historischen Saal. Das Filigran des Dschungel-Grüns, die Lichtdurchlässigkeit der Raumschichten auf den Diasec-Oberflächen, der Schauauftritt der Landschaft in der milden Sonne des Außenraums sind schlicht beeindru-ckend. Einige Säle weiter antwortet gleichsam ein anderer Becher-Schüler, der ungläubige Thomas Ruff. Sein Bild aus der Computer-generierten Serie namens Jpeg mit der Bezeichnung Bi01 bezieht sich auf die Explosion der ersten Was-serstoffbombe auf dem Bikini-Atoll von 1954. Der Ort, an dem die Bombe gezündet wurde, war auch so ein unberührter Fleck Erde, aber die Kernwaffentests brachten Tod und Verderben. Ruff bläst die Pixel auf, das Bombenbild verliert seine konkreten Infos. Der Atompilz wird zum weißen leeren Körper, Bi01 zur reinen, nach mathematischen Regeln figurierten Oberfläche, hinter der es nichts mehr zu verbergen gibt.
Wir sind, um etwa mit dem afrikanischen Filmemacher William Kentridge zu sprechen, Vertriebene aus dem Paradies. Seine bekannte Schatten-Prozession von 1999, ein Neunminuten-Film mit Galgenvögeln, Dämonen und Irrlichtern aus Blech und Pappe, erinnert an den Abgang einer Mutter Courage in eine ungewisse Zukunft. Jonathan Meese, der Komiker und Aufschneider der Kunst, der alles verwandeln und verwursteln kann, hat in den weichen Ton gestochen, gebohrt und geprügelt, wie es seine Art ist. Entstanden sind dunkle, bronzene Kreaturen der Unterwelt, zugleich Flaschengeister und dämonisch-komische Wesen. Auch sie spielen mit der Angst.
Unter der Messlatte von Himmel und Hölle relativiert sich vieles, die flotten Bildchen des hochbegabten und begehrten Daniel Richter etwa. Nachhaltiger wirkt die nach-kommunistische Komödie vom fetten Fleisch in der Hängematte des Fotokünstlers Boris Mikhailov. Auch das Farbspektakel der himmelwärts fahrenden Hells Drivers des Tal R. ist witzig. Grell und bunt schleudern die Fahrzeuge gegen das Firmament und werden auf den Friedhof zurückgeworfen – fast in Augenhöhe des Betrachters.
Mircea Cantor, Videokünstlerin aus Rumänien, bringt noch einen Schreckens- und Kulminationspunkt in den Parcours. Sie zeigt den Film »Deeparture« von 2005, mit dem sie auf der Berlin-Biennale Furore machte. Eine Hirschkuh und einen Wolf hat sie in eine weiße Zelle gesperrt. Die Tiere stehen unter Stress, verängstigt und verwirrt, verharrend in einem irritierenden Stillstand. Mit geblähten Nüstern wartet das Reh, nervös wirkt der Wolf. Das friedliche Nebeneinander der Arten existiert seit Adam und Eva nicht mehr. Ob das eine Geschöpf das andere fressen wird, wie es der Instinkt vorgibt, bleibt offen.
Nichts und niemand kehrt ins Paradies zurück, nur die Helden auf den »Remix«-Bildern des Georg Baselitz kommen wieder. Die Eigen-Zitate des Malerfürsten sind frischer und größer als die »Originale« der Nachkriegszeit. Die Heimkehrer entspringen nicht mehr der Hölle des Zweiten Weltkrieges, es sind eher die Abgesandten des Kunstmarkts, der auf die Wiederkehr seiner Idole wartet.
Die nächste Rheingold-Schau wird Rainer Speck kuratieren. Das dürfte dann der eigentliche Knüller werden, dank seines untrüglichen Auges und seiner Sensibilität für historische Räume. Als seine Sammlung mit 300 Meisterwerken an den Rheingold-Hort ging, war sie einen zweistelligen Millionen-Betrag wert. Für den 67-jährigen Arzt bedeutet Kunst indes nie bloß Wertanlage, sondern schafft intellektuelles und sinnliches Vergnügen. Als Connaisseur schätzte er so variable Größen wie Sigmar Polke, Martin Kippenberger, James Lee Byars, Rosemarie Trockel und Marcel Broodthaers. Paradiesische Aussichten. //
Bis 1. August; Schloss Dyck, Jüchen; 02182 / 824-0; Katalog‚19,50 Euro; www.stiftung-schloss-dyck.de