// In Amerika herrscht Aufbruchstimmung. Eine Ära lähmender Stagnation und politischer Hysterie, von Angst und Unterdrückung ist dabei, überwunden zu werden. Change ist das Losungswort.
Heute – und genauso vor einem halben Jahrhundert. Der Aufbruch, für den in Europa das Datum ’68 steht, begann in Amerika früher, jene historisch einmalige Verbindung von Politik, Kunst, Moral, Mode, Lifestyle und Musik entfaltete ihre Schubkraft im Mutterland der Demokratie bereits Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre. Und dies in zwei Zentren: an der Ostküste mit New York. Und an der Westküste mit San Francisco und der Bay Area.
»People in Motion«: Das Ineinanderfließen isolierter Sphären ist das Kennzeichen und ergab die Kraft jener Jahre: Die Beat Generation (ihre Protagonisten ab Mitte der 50er in San Francisco) näherte sich der Pop-Kultur, die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen fand Verbündete in den Freiheitsspielen der Hippies, Wut und Gewalt der Black Panther fügten sich ein in den Summer of Love. Die Literatur wurde dramatisch, die Kunst beweglich, der Film verlor die Handlung, Tanz fand zur Malerei. »The times, they are a-changin’«, sang 1964 Bob Dylan, der mit Allen Ginsberg befreundet war. Und Schüler des Avantgarde-Malers Josef Albers, in der Interaction of Color geschult, entwarfen psychedelische Pop-Plakate. Drogen nahmen den Status einer Weltanschauung ein, die neuesten künstlerischen Strategien verachteten den Markt und waren vor allem eines: straßentauglich.
Etwas von dieser gewaltigen Strömung ist jetzt im Kölner Museum Ludwig zu sehen, eine Ausstellung, die den in der Rezeptionsgeschichte zu gering erachteten Anteil der Westküste – so die These – in den Mittelpunkt stellt. Etwas von dieser Strömung, aber wenig von der Stimmung – jene Jahre waren wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Und die Kunstgeschichtswissenschaft kann nur die Überbleibsel auf Nadeln stecken.
So hängt denn ein Protesttelegramm des großen Dichters Ginsberg gegen die Verhaftung Timothy Learys – Professor an der kalifornischen Berkeley University – gerahmt an der Wand, präpariert wie ein LSD Blotter Paper – aber was bedeutete die Gefangennahme des Drogen-Heilands nicht denjenigen, die damals tuned in waren, an abgrundtiefer Verzweiflung! Welchen Mut erforderte es, sich langhaarig und bunt kostümiert, innig umschlungen in Gruppen in einen Park zu legen – im erzkonservativen Amerika der frühen 1960er Jahre. Die (hervorragenden) Fotografien von William Gedney oder Lisa Law in ihrer dokumentarischen Kühle vermitteln dies nicht mehr, obwohl die damals Partei nahmen.
Da liegen Comic-Hefte von Robert Crumb in der Vitrine, da Exemplare von Untergrund-Zeitungen wie »Oracle« in einer anderen – Kammern des Stillstands, in denen sie nie landen wollten. Aber was will man machen. Vergessen wäre die Alternative.
Gott sei Dank gibt es Filme wie den 1959 bis 1967 entstandenen »Looking for Mushrooms«, der der Ausstellung den Titel gab und noch etwas von jenem spirit transportiert. Er stammt von dem Bildhauer Bruce Conner, der früh, Ende der 50er, mit Assemblagen aus Wohlstandsmüll hervortrat und mit seinem Experimentalfilm »A Movie« 1958 die Ästhetik des Video-Clips vorbereitete (so wie Jonas Mekas, der derzeit dito im Museum Ludwig zu sehen ist – s. K.WEST 11.2008). »Looking for Mushrooms« mit seiner aufregend wirren Optik aber meint nicht nur den halluzinogenen Pilz, sondern auch die Wolkenformation der Atombombenexplosion, und misst damit die Spannweite der Counter Culture an der Pazifikküste aus: diese Fluchtversuche aus einer durch verfehlte Politik vielfachst zugestellten Welt.
Einer der Spiritus Rectores dieser Gegenkultur war H.C. Westermann, schon allein deshalb, weil sich sein Werk so schön wild vom Abstrakten Expressionismus unterschied, der die Kunstszene noch in den 1960er Jahren dominierte, und weil er sich selbst damals so zeitgerecht selbst inszenierte: als Athlet, Seemann, Handwerker. Ihm flicht die Ausstellung einen kleinen Kranz, zeigt etwa mit der Litho-Serie »See America First« von 1968 karikatureske Dekonstruktionen von Amerikabildern und -klischees oder die paradox-todessüchtige Holzplastik »Suicide Tower« (1965). Auch der bekannteste der damals aktiven Künstler der Westküste spielt eine größere Rolle, Bruce Nauman, der etwa in einem wackligen Schwarzweißfilm zu sehen ist, wie er Mitte der 60er in einem Käfer in den Wald fährt, um dort eine Art Kunst-Fahne über einen Bach zu spannen. That’s it!
1970 zerstört der Künstler Terry Fox in einem Happening per Flammenwerfer blühende Jasmin-Sträucher vor dem Berkeley Art Museum der University of California. Fotos der Aktion, die die Gewalt im Vietnamkrieg nach Hause in die USA bringen wollte, eröffnen die Ausstellung. Flankiert von einer Installation von Paul Kos, die die Schmelzgeräusche eines Eisblocks per Mikrofon ins Foyer des Museums überträgt. Der Fluxus-Künstler Fox lebte seit den 70ern in Köln, wo er kurz vor Eröffnung der Ausstellung, 65-jährig, starb.
Auch Connor, 1933 geboren, verstarb kürzlich. Fotos von Vorstellungen der »San Francisco Mime Troupe« offenbaren eine heute rührend verstaubt wirkende Theater-Ästhetik, Allen Ginsbergs tremolierende Deklamation seines Großgedichts »Howl« wirkt, wie sie da von der CD kommt, seltsam altbacken (»I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked, dragging themselves through the Negro streets at dawn looking for an angry fix«). Anna Halprins Tanzfilm »Ceremony of US« präsentiert eine seltsame Kuschel-Choreografie, war 1969 aber revolutionär, weil hier zum ersten Mal Schwarze und Weiße gemeinsam tanzten.
H.C. Westermann ist immer relativ unbekannt geblieben, die Blumen der Hippies sind längst in Peinlichkeit verwelkt, die Black Panther seit Jahrzehnten zerfallen. Aber heute ist ein Schwarzer Präsident der USA. Es lohnt also auf jeden Fall, Ausschau nach Pilzen zu halten. Symbolisch gesehen. //
»Looking for Mushrooms. Beat Poets, Hippies, Funk, Minimal Art in San Francisco 1955–68«, bis 1. März 2009. Katalog 29 Euro. 0221/221-26165. www.museum-ludwig.de